Unsere wunderbare Vermieterin steht pünktlich um 1230 auf der Matte um uns durch HANGA ROA zum Flughafen zu bringen. Ohne Gepäck gerade so zu Fuß machbar, mit Gepäck unmöglich. Als Abschiedsgeschenk bekommen wir jeder noch eine Muschelkette um den Hals und dann sind wir auch schon wieder ein kleines Rädchen in der Abwicklungsmaschine eines modern geführten Flughafens.
Auch wenn er so faszinierend klein ist wie der auf RAPA NUI.

Die LATAM Maschine aus SANTIAGO hat leichte Verspätung, aber das bügeln die Flughafenmitarbeiter wieder aus und so starten wir nach einem nicht unangenehmen Aufenthalt im Schatten der Freiluftwartehalle des MATAVERI Airport auf RAPA NUI pünktlich in Richtung Festland. Etwas wehmütiger Abschied, man hätte auch länger hier bleiben können.
Ein völlig ereignisloser Flug, ein toller neuer Film („NOPE„) im Bordkino mit teilweiser grandioser Filmmusik und astreinen Spezialeffekten.
Nach der Landung in SANTIAGO kommt das Gepäck sehr schnell, den Shuttlebus zum Parkplatz finden wir auf Anhieb und gegen 2215 nehmen wir den unversehrten KNAUSi wieder in Betrieb. Reibungslose Reise. Besser geht es nicht.

Wir übernachten auf dem bestens bewachten Parkplatz, nehmen einen frühen Morgenkaffee, bezahlen für sieben Tage sicheres parken angenehme 60 € und machen uns auf den Weg in Richtung SANTIAGO DE CHILE.
Aber nicht um diese mördergroße Stadt zu besichtigen. Das Touristenprogramm haben wir gestrichen. Keine Lust auf Großstadttourismus, nach der so schönen Zeit auf RAPA NUI.
Aber wir wollen in der Stadt endgültig unser Reifenproblem lösen. Besser gesagt das Felgenproblem, denn einen passenden Reifen fahren wir ja seit VALDIVIA im Kofferraum. Sehr gut wäre es nun, wenn der Reifen auf einer entsprechend großen Felge wäre, dann hätten wir endlich mal ein vollwertiges Reserverad für KNAUSi an Bord.
Ist doch prima, wenn man (Mann!) nach gut vier Monaten mal auf so eine famose Idee kommt, gell?
Der Stadtverkehr ist dicht, aber machbar. Im ersten per GOOGLE MAPS herausgesuchten Laden kann man uns gar nicht helfen. Im zweiten eigentlich auch nicht, aber endlich treffen wir mal wieder einen wirklich mitdenkenden Menschen mit ein paar Brocken Englisch. Der schickt uns zu einem Laden, gleich in der Nähe vom ersten. Aber wir sollen da auf uns und unser Auto aufpassen! Die Gegend sei keine gute. Würde schon klappen so lange wir nach Ricardo Gonzales fragen.
OK, weiter geht wie wilde Felgenjagd!
In KNAUSi einsteigen und rückwärts die kleine Auffahrt runter auf die Straße. Völlig normales Programm. Eine Lücke im dichten Verkehr tut sich auf, Rückwärtsgang rein und Gas geben. Das Auto rollt los, vielleicht drei, vier Meter und RUMS!!!
Hä?
WATT WAR DENN DATT?
Nun, der Blick in den rechten Außenspiegel hat klar freie Bahn signalisiert, hätte der seit über 10.000 Kilometern in Südamerika unfallfreie Fahrer (…und im übrigen weltweit seit über 200.000 km, jawohl, ja!) vielleicht auch mal in den linken gesehen, hätte der da einen stehenden Linienbus gesehen. Volle Größe, keine Tarnfarbe, kein Nebel, keine blendende Sonne. Linienbus. Nicht zu übersehen.

Auf der ewigen Suche nach dem positiven:
Kein Mensch war dazwischen, einfach nur blöder Blechschaden an KNAUSi und Kratzer am Linienbus. Weiter diesbezüglich interessierte seien auf die entsprechenden Bilder und die kurze Unfallskizze in diesem Beitrag verwiesen.
Die kleine aufgebrachte Busfahrerin verlangt nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Manager ein Foto des Reisepasses und Kontaktdaten des bedröppelt da stehenden Fahrers, der natürlich allen Forderungen unverzüglich nachkommt. Die nicht besonders erfreuten Buspassagiere verlassen nach und nach den Bus, je länger die Aktion dauert. Die Mitarbeiter des Reifenhandels sehen sich die Sache an und meinen, das sei ja wohl nicht der Rede wert, mischen sich aber nicht weiter ein. Wenn der Fahrer wolle, könnte man für ihn die Polizei rufen, aber die würde sich veralbert vorkommen, weil man ja kaum was sähe. Seit Rat: Wir sollen einfach abwarten, ob sich das Busunternehmen bei uns meldet und dann sehen, was anliegt. OK, das ist schon mal eine mögliche Strategie.
In der Tat. Neu sieht der Bus wirklich nicht aus und mit etwas Wasser und Spüli würde man wohl kaum noch etwas sehen. Aber unzweifelhaft stand der Bus und KNAUSi ist mittels des Fahrers Unvermögen in ihn hinein gefahren.
OK, Unfälle sind im allgemeinen überflüssig, dieser hier im ganz besonderen.
Kann man machen nix. Der Bus ist weg, wir verlassen den Unfallort und begeben uns mit gemischten Gefühlen erneut auf die noch nicht abgeschlossene Felgenjagd. Fahrtechnisch sicherlich jetzt verunsichert.
Und nun folgt am gleichen Tag ein weiteres Erlebnis der besonderen Art:
Man stelle sich eine vierspurige Einbahnstraße vor. Eingesäumt von flachen Häusern, die allesamt nach vorne offene Ladengeschäfte sind. Bestimmt dreißig oder vierzig, auf jeder Straßenseite. Die Spur ganz links kann befahren werden, wenn da nicht gerade ein Auto hält. Dann gibt es Stau und alle hupen. Auf den drei rechten Spuren stehen wild durcheinander unzählige Autos und Reifenstapel. Dazwischen laut brüllende Menschen, die wild gestikulierend einen dazu bringen wollen, ihn ihrem Laden neue Reifen zu kaufen.
Ein Reifenstrich!
Donnerknittel, was es nicht alles gibt!
Zum Glück hat der freundliche Mensch im letzten Reifenhandel auch den Unternehmensnamen NeumaRichy genannt und so finden wir den Laden sofort, denn über jeden der unendlich vielen kleinen Geschäfte prangt natürlich ein riesiges Firmenschild. Die Sache mit dem Parken in diesem Gewusel und der beginnenden Tageshitze gelingt so gerade eben ohne erneuten Schaden. Kaum ist der Fahrer auf der Straße ist er umringt von Koberen, die alle das Gleiche von ihm wollen. Die Beifahrerin bleibt bei offenen Fenstern aber verriegelten Türen als Wache im Auto zurück.
Erst als klar wird, das der Fahrer Ricardo Gonzales sucht, lassen die nicht besonders freundlich daher kommenden Menschen vom Fahrer ab und ein verschmierter Arbeiter bringt ihn zum gesuchten Experten. Der Name scheint auf der Straße einen gewissen Respekt zu genießen.
Dann kommt Ricardo Gonzales als attraktiv in die Jahre gekommener Sunnyboy daher. Offenes Oberhemd, Bermudashorts aus Jeans, Turnschuhe, Sonnenbrille. Goldkette um den Hals, dicke Armbanduhr. Könnte mit dem Aussehen auch in einem Mafiafilm mitspielen. Aber nur als freundliches Familienmitglied, selbstverständlich.
Wie fast alle anderen zuvor auch versteht er zunächst, das wir einen Reifen suchen. Erst nach ein paar Minuten begreift er: FELGE!
Ach, wäre man doch bloß der spanischen Sprache mächtig!
Ricardo Gonzales befiehlt einen jungen Monteur KNAUSi auf der Straße aufzubocken und das Vorderrad abzuschrauben.
Hä?
Wieso denn das? Um uns hier fest zu nageln und abzuzocken?
Der junge Monteur, man glaubt es kaum, kann ein wenig Englisch. Aus Filmen! Freut sich, das wir aus Deutschland sind und er uns helfen kann. Das Vorderrad soll ab, weil sie das Lochmaß der Felge (also den Abstand der Schrauben) bestimmen müssen. OK, das hört sich vernünftig an.
Das abgeschraubte Rad wird entlang der ganzen Autos, Menschen und Reifenstapel vor dem eigenen Laden sicher geparkt, der immer von anderen Kunden umschwärmte Ricardo Gonzales kommt mit einem teuer aussehenden Messgerät vorbei, misst und schüttelt den Kopf. Geht aber nach hinten in seinen Laden und lässt suchen. Nach zehn Minuten kommt er immer noch kopfschüttelnd zurück, geht in den Laden nebenan und spricht mit dessen Chef.
Auch der verschwindet nach hinten im Laden. Der vor den beiden Läden stehende Fahrer hat ein wachsames Auge auf sein alleine da stehendes Vorderrad und befürchtet, das das wohl ein Satz mit X werden wird. Ewiger Pessimist. Würde ja ganz wunderbar in diesen ansonsten beschissenen Tag passen.

Doch nach gefühlten zwanzig Minuten kommt der Nachbarchef mit einer gebrauchten Alufelge aus seinem Lager zurück und stellt sie betont lässig in den Laden von Ricardo Gonzales und ruft laut dessen Vornamen. Mit dem unmittelbar vor ihm stehenden Fahrer spricht er nicht.
Irgendwann kommt Ricardo Gonzales wieder und befiehlt dem gleichen jungen Monteur, die Felge testweise an KNAUSi zu befestigen. Dieses pragmatische Vorgehen gefällt dem Fahrer sehr. Einfach mal machen.
Die Felge passt genau. Aber was soll sie kosten?
Erneut muss Ricardo Gonzales gesucht werden, der dann lange auf die Felge am aufgebockten KNAUSi starrt und schließlich 250 US$ in den Ring schmeißt. Dem Fahrer steht in der nun brütenden Hitze und der unglaublichen umgebenden Hektik durch hupenden, ein- und ausparkenden Autos und vielen umher wuselnden Gestalten nicht der Sinn nach Verhandeln. Der Preis ist OK, wenn sie dafür auch noch unseren neuen Reifen aus dem Kofferraum auf diese Felge montieren. Ja, OK, meint Ricardo Gonzales, aber nur, wenn wir dem jungen Monteur ein saftiges Trinkgeld geben würden. Alle lachen, ja klar, machen wir!
Nun ist es ja nicht so, das man einen Reservereifen ohne Felge zuvorderst in den Kofferraum staut. Da stehen ja eher die Sachen, an die man auf Reise immer heran muss. Stühle, Tisch, Lampe, Wanderschuhe, Reservegasflasche und so.
Also muss der Fahrer nun in diesem Trubel auch noch den halben Kofferraum leer räumen und auf die Straße stellen, um an diesen doofen Reifen zu kommen. Der junge Monteur schmunzelt ein wenig, ob des ganzen Krimskrams, der da aus dem Auto hervor quillt, verschwindet aber dann sofort mit Reifen und Felge um den Job zu erledigen.
Der Fahrer staut derweil die ganze Ausrüstung wieder ein, um die Hecktüren schnellstmöglich wieder zu zu bekommen. Das fertige Reserverad soll einfach bis zum nächsten Campingplatz im Wohnbereich gefahren werden.
Beim schließen der Hecktüren stellt der Fahrer den eigentlichen Unfallschaden fest: Die linke Tür steht unter Spannung, die recht hakt und beide lassen sich nur mit Kraft schließen. Oder kommt das nur vom immer noch aufgebockten schräg stehenden Fahrzeug? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Egal. Bloß weg hier, eines der durch KNAUSi zugeparkten Fahrzeuge will schon seit einiger Zeit weg und dessen Fahrer beginnt zu meckern.
Das fertige Reserverad packen wir in eine riesige Plastiktüte und verkeilen es im Auto unter dem Tisch. Das Originalrad wird fix montiert, der Wagenheber abgelassen, das üppige Trinkgeld dem freundlichen jungen Monteur zugesteckt, ohne das der Chef das sieht und im Laden von Ricardo Gonzales wird per Kreditkarte bezahlt.
Schwups. Fertig. Einfach so.
Ohne verarscht zu werden. Ohne ausgeraubt zu werden. Ohne weiteren Unfall.
Geht doch!
Wieder im Auto sitzend berichtet die Beifahrerin von ihren Erlebnissen als KNAUSi Bewacherin. Gab viel zu sehen, auf diesem Reifenstrich! Ein paar Meter weiter wurde die Motorhaube eines Autos rustikal mit viel Getöse und einem Gummihammer ausgebeult. Wäre das was für uns?
Ein Mann mit frischen Mangospießen kam vorbei. Flink heran gewinkt und durch das offene Beifahrerfenster das kleine Geschäft abgewickelt. Man erinnert sich, der Wagenheber stand unter dem Beifahrerfenster und der Arbeitsplatz war in keinster Weise abgesichert. Aber immerhin konnte so der drängendste Hunger gestillt werden, denn Frühstück gab es selbstverständlich noch nicht!
Mit einem wirklich knapp dosierten Glücksgefühl, endlich dieses leidige Ersatzradthema gelöst zu haben machen wir uns auf den Weg in das 160 Kilometer entfernte LAGUNA VERDE, denn im Großraum SANTIAGO gibt es nicht einen einzigen Campingplatz. Schon irgendwie bescheuert, das viele Großstädte keinen solchen Ort haben.
Die Fahrt an die Küste ist ätzend. Sehr kurvenreich, dichter Verkehr, LKW´s ohne Ende und schlechte Laune sind keine optimalen Reisefaktoren.
Dem Fahrer will nichts aus dem Sinn gehen, wie viel Mist, Ärger und versenktes Geld er mit seinen tollen Spezialreifen an KNAUSi´s Füßen zu verantworten hat. Denn daran glaubt er schon immer fest: An das Verursacherprinzip.
Was für 24 Stunden!
Alles dabei. Südsee, Mittelstreckenflug, Großstadtdschungel, Herz, Schmerz.
Peter.