Auch in der Umgebung von VALPARAISO gibt es keinen Campingplatz.
Der nächste mit öffentlicher Nahverkehrsanbindung ist in LAGUNA VERDE. Auch kein schlechter Ortsname.
Und so führt uns der Weg nach dem, sagen wir mal neutral, sehr ereignisreichen SANTIAGO Tag also nach LAGUNA VERDE.
Beide Navigationsmittel versagen bei der Anfahrt zum Campingplatz. Weder TOMTOM GO noch GOOGLE MAPS findet den richtigen Weg, beide meinen einstimmig man soll am Ende deren Navigation einfach ein paar Meter durch einen tiefen Fluss fahren. Ach nö, Abenteuerbedarf für weit mehr als 24 Stunden gestillt.
Dabei zeigt ein menschlicher Blick auf die elektronischen Karten, das man einfach nur auf der Hauptstraße bleiben muss, um eine ordentliche Brücke über den Fluss zu passieren. Erst dann ab in Landesinnere.

Oskar, der arbeitsame Campingplatzbesitzer grinst immer zu, als ob er gerade einen Streich aushecke. Dabei ist er vermutlich einfach nur freundlich, gibt uns einen guten Platz und verschwindet denn auch sofort wieder.
Nach Beruhigungsmitteln, gereicht aus den üblichen kleinen metallischen Zylindern prüft der Fahrer noch am Ankunftsabend in aller Ruhe den Unfallschaden. Unglaublich, wie die linke Heckseite gestaucht wurde! Die paar Meter rollend, die geringe Geschwindigkeit. Hat wohl was mit Masse und deren Trägheit zu tun. Durch die Stauchung hat sich die linke Tür aus ihrer Drehachse verschoben und hängt oben etwas nach rechts. Damit behindert sie die rechte Tür beim öffnen und schließen.
Der Bordhammer ist natürlich viel zu klein, um an dem oberen verbogenen Türscharnier etwas auszurichten. Lächerlicher Versuch!
Hebeln!
Man müsste hebeln!

Aus dem Bordwerkzeug lässt sich ein knapp meterlanger metallener Hebel zusammen stecken, der robust genug wirkt, um wirklich Kraft darauf auszuüben. Vorsichtig, mit Bedacht, denn nach fest kommt lose. Weiß jeder Seemann.
Tatsächlich, es klappt! Beide Türen lassen sich fast normal öffnen und schließen. Aber die Stauchung und die Beulen bleiben natürlich. Immerhin.
Die Beifahrerin unterdrückt wie üblich ihren Stolz auf ihren fähigen Fahrer und nimmt die erfolgreiche Türreparatur stillschweigend zur Kenntnis. War ja wohl das mindeste!
Durchaus gemeinsam wird an diesem Abend ein bereits auf RAPA NUI diskutierter Faden wieder aufgenommen: Rollentausch!
Nein, nein, nicht so dramatisch. Wir behalten natürlich unser Geschlecht. Und auch die üble Laune darf der Schreiberling behalten, während die Mitreisende auch weiterhin wie üblich frohen Mutes ist.

Schauen wir mal, wie es läuft.
Ab sofort ist die Beifahrerin also die Fahrerin und der nun ehemalige Fahrer nimmt nicht unfreiwillig auf der rechten Seite im Auto Platz. Den Zündschlüssel darf er aber weiter bewachen, denn seine Hose hat eine Tasche mit Reißverschluss. Da können leichte Sommerkleider einfach nicht mithalten. Auch bei einer so einschneidenden Veränderung muss man schließlich einen gewissen Pragmatismus bewahren, gell? Und schließlich sähe der ehemalige Fahrer in so einem leichten Sommerkleidchen ja auch wirklich sehr, sehr merkwürdig aus, die Fahrerin hingegen kann selbstverständlich alles tragen!
Des weiteren wird eine Art Vollbremsung beschlossen. Wir wollen die Ortswechsel jetzt viel langsamer angehen. Das fällt dem einen leicht, der anderen nicht so besonders.
Nun gut. Wäre das dann mal geklärt.
Der Folgetag wird in dem kleinen Badeort LAGUNA VERDE klassisch verdödelt. Kleiner Ortsrundgang, Strand, Bar.
Samstags auf nach VALPARAISO. Mit dem 520iger Bus. Der Bus hat so in etwa die halbe Größe wie die Teile in Deutschland. Nur das bei uns die Busse auf dem Land nicht mal halbvoll sind. Hier sind die Busse übervoll. Könnte zum einen daran liegen, das sie nur 45 Sitzplätze haben, oder das der Fahrschein ca. 0,60 € kostet. Wer weiß das schon?

Dem ehemaligen Fahrer wird auf jeden Fall schon bei der Hinfahrt nach VALPARAISO schlecht. Klassischer Fall von Seekrankheit. Wie man so einen Bus so jagen kann? Die Serpentinen Bergauf sind ja noch OK, doch auf der anderen Seite des Berges führt die endlos erscheinende Abfahrt nach VALPARAISO durch dicht besiedelte Vororte und die Kursänderungen erscheinen doch sehr abrupt.
Am Hafen von VALPARAISO hat die Qual ein Ende. Aussteigen!
OK, stinkige laute Großstadt.
Am Hafen kommt es lange zu keiner Entscheidung. Hafenrundfahrt, ja oder nein? Der immer noch seekranke ehemalige Fahrer verspürt absolut keine Lust auf die Enge der hier angebotenen Seelenverkäufer. Sollen mal hübsch die zahlreichen Eingeborenen unter sich bleiben.
Irgendwer hätte sich vorher vielleicht mal schlau machen sollen, wo wir eigentlich hier hin wollen. Oder was wir vielleicht genau sehen wollen?
Stolpern wir wie üblich also einfach mal los und landen in einem der zahlreichen „Aufzüge“, die die Unterstadt mit der Oberstadt verbinden. Oder genauer, den Oberstädten. Denn eigentlich nimmt VALPARISO für sich in Anspruch, mehrere „Hügel“ besiedelt zu haben. Das mag man in ganz frühen Zeiten auch mal so gesehen haben, aber egal wo man jetzt hinschaut: Eine riesige bebaute Stadt bis zum Horizont!
Oben auf dem CERRO CONCEPTION angekommen sieht die Sache schon mal viel besser aus! Wer oben ist, der hat es einfach besser. Wie immer, wie überall.

Die Übergänge zwischen den beiden Hügeln CONCEPTION und ALEGRE sind fließend, wo wir wann genau sind bleibt unklar. Alles recht bunt hier oben. Könnte daran liegen, das die Häuser farbenfroh angemalt sind und oft auch kleinen Kunstwerken eine Fläche geben. Die meisten Eigentürmer werden das wohl gut finden, aber wehe dem, der eine schöne weiße Fassade bevorzugt. Wirkt vermutlich auf die örtlichen Straßenkünstler wie ein Arbeitsauftrag.
Schade, das recht viele Häuser verlassen einfach verfallen. Das liefert natürlich ein gewisses Flair, doch ist Wohnraum auch hier offenbar knapp. Pure Verschwendung. Wenn man genau hinsieht wundert man sich ja doch, in welche Lücken Menschen mit wenig Geld ihre sehr einfachen Hütten an oder in den Berg kleben. Bestimmt kein guter Ort um sich selbst bei einem leichten Erdbeben dort aufzuhalten.
Irgendwann wird es dem ehemaligen Fahrer schlicht zu viel. Klar, die vielen Buden von Straßenkünstlern ziehen weibliche Kundschaft weltweit magnetisch an, aber für Kerle ist so ein Besuchsprogramm in der Regel wohl eher nix.
Ab nach Hause, auch wenn die Busfahrt nicht so komfortabel ist, wie sie ursprünglich erhofft wurde.
Geht schon damit los, das lange Zeit kein 520iger an der Haltestelle am Hafen vorbei kommt. Siebener, Sechser, andauernd. Wahnsinnsfrequenz. Als dann endlich ein 520iger kommt, ist der schon voll und alle neuen Fahrgäste müssen sich im stehen so verkeilen und festkrallen, das sie während der Fahrt nicht durch die Gegend fliegen. Doch auf dem langen Weg nach LAGUNA VERDE steigen auch viele Fahrgäste aus und sicherere Sitzplätze werden frei.
OK, der Ausflug war schon mal nicht ganz schlecht, machen wir noch mal.
Denn wir wollen ja langsamer werden und fahren einfach nicht weiter.

Mit geschickten maßlosen Übertreibungen gelingt es uns, eine andere, bereits bekannte Wohnmobilbesatzung auf Oskars Campingplatz in LAGUNA VERDE zu locken und wir verbringen mal wieder eine gute Zeit mit gleichgesinnten in der einzigen Sprache, die wir wirklich können. Selbst eine erneute VALPARAISO Tour wird gemeinsam unternommen. Der nicht degradierte Fahrer des anderen Busses meint nach kurzer KNAUSi Besichtigung: Das ist ein Scheißunfallschaden. Soll wohl heißen, das wird in Deutschland teuer, wenn der beseitigt werden soll. Abwarten, ob der TÜV das überhaupt will, ansonsten bleiben selbstverständlich alle Reiseblessuren so, wie sie sind!
Merkwürdig, das wir von unserem Unfallopfer noch so rein gar nichts gehört haben? Gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sind solche kleinen Unfälle normaler Schwund in deren Großstadtgeschäft und sie machen nichts daraus, oder das genaue Gegenteil: Sie machen ein großes Fass auf und haben Gutachter und Anwalt beauftragt, die ihre Zeit für eine hundertseitige Klageschrift brauchen. Schauen wir mal was da noch kommt.
Die andere Wohnmobilbesatzung macht sich auf den Weg, die kleine Reisegruppe bleibt noch einen Tag und erlebt am letzten Abend auf dem Campingplatz noch so einiges.
Zunächst kommt ein bayrisch sprechender Herr vorbei und bietet eine Reihe von frischen Gemüse und Schnickedöns zur kostenlose Übernahme an. Er war mit seinen beiden erwachsenen Söhnen unterwegs und fliegt am nächsten Tag nach Hause. Klar, gerne. Lecker!

Dann kommen zwei Briten wieder auf den Platz, die vor ein paar Tagen schon mal da waren. Auch deren Reise endet am nächsten Tag, doch wurde ihnen gerade in VALPARAISO der Mietwagen aufgebrochen und sämtliches Gepäck von der Rückbank gestohlen. Geld, Kreditkarten und Pässe waren am Körper. Aber die Mietwagenfirma will, das sie das kaputte Auto bei der Station abgeben, wo sie es übernommen haben. In PUERTO MONTT, was für eine spaßige Idee.
Nun, wir können erst mal mit Internetzugang helfen, um die Dinge zu regeln, die es nun schnell zu regeln gibt. Zum Glück bekommen sie über ihre Familie einen spanisch sprechenden Engländer in VALPARAISO vermittelt, der sich um sie kümmert.
Dann brauchen sie noch ein Ladegerät für die Nacht und durchaus auch etwas Redezeit, denn zum Abschluss einer sehr schönen Reise so mies ausgeraubt zu werden schlägt natürlich auf die Stimmung.
Sie war bis vor kurzem Lehrerin und freut sich, nicht mehr arbeiten zu müssen. Er sieht aus wie der Prototyp eines verbrauchten Grumpy Old Man der irgendwo in einem Büro schlechte Stimmung verbreitet. Doch, Überraschung, er ist aktiver Fallschirmspringer und bildet aus. Sky Diver im englischen. Noch ein Jahr muss er arbeiten, will er auch. Schubladen sind so was von überflüssig!

Zwischendurch kommt ein Neuankömmling vorbei und fragt irgendwas auf spanisch, was wir nicht mal im Ansatz verstehen. Irgendwas mit Argentinien? Keine Ahnung. Er hat sein Zelt mit seiner Frau und einer Tochter in unserer Nähe aufgeschlagen und so fällt dem ehemaligen Fahrer am nächsten Morgen auf, das das Auto aus Argentinien kommt.
Hm. Vielleicht doch noch mal hingehen und fragen ob und wie wir helfen können?
GOOGLE TRANSLATE ist ja bekanntlich besser als nix. Eigentlich wollte der Mann von uns wissen, ob wir nach Argentinien fahren und ob er nicht bei uns seine argentinischen Pesos in chilenische Pesos umtauschen könnte. In LAGUNA VERDE sei das nicht möglich und er wolle nicht nach VALPARAISO. Warum auch immer. Vielleicht, weil gar keine chilenischen Pesos mehr da sind?
Egal. Wir können helfen und wir wollen helfen. Ob das jetzt für uns ein grandioser Wechselkurs ist oder nicht ist bei der überschaubaren Summe in dem Moment eigentlich auch egal. Was den ehemaligen Fahrer, der die Transaktion pflichtbewusst abwickelte jedoch ein wenig aus den Socken haute war die Reaktion der beiden Eltern: Als alles klar war haben sich beide zunächst normal bedankt, den großen dicken Kerl aus Deutschland aber dann noch herzlich umarmt. Beide!
Oh, da muss aber der Schuh´ ganz gewaltig gedrückt haben!
Also mal im Ernst.
Wer wurde denn schon mal beim Geldwechseln von wildfremden Menschen aus Dankbarkeit herzlich umarmt?
Peter.
P.S.: Die zukünftige Fahrerin rechnet später noch mal nach und lacht sich kaputt: Bei dem miesen Wechselkurs hätte sie auch jeden Deppen umarmt, der freundlich doof den offiziellen Wechselkurs zu Grunde legt.
Immer diese Böden der Tatsachen. Muss das denn wirklich sein?