In der Tat machen wir uns auch nach vielen Segeljahren vor jedem Törn „Gedanken“. Um nicht zu sagen „einen Plan“.
Wie wird das Wetter?
Route?
Ausweichhäfen?
Besonderheiten?
Proviant?
Wenn wir von Starkwind ausgehen müssen, stellt sich die Frage: Segeln wir in eine Wetterbesserung oder werden die Bedingungen eher schlechter? Der letzte Starkwindtörn von ANHOLT nach HELSINGÖR war zwar anfangs anstrengend und doof, aber wir wussten ja: Mit jeder Stunde wird es besser und leichter. Das motiviert ungemein!
Nun denn.
Bei der jetzt anstehenden 55 Seemeilenpassage von HESNAES nach GROSSENBRODE ist es leider genau umgekehrt. Geschützt von der Landmasse von FALSTER werden wir auf Südkurs bis GEDSER ganz gute Bedingungen haben, doch dann geht es gen West-Süd-West und der Wind wird auffrischen und auf Nordwest gehen. Ein weiser Segler meinte neulich: Wieso schaust Du überhaupt noch auf die angesagte Windgeschwindigkeit? Starke Böen sind doch eigentlich nur das Problem (?).
Stimmt.
Die Wettervorhersage von WINDY und vom DMI stimmen für den Nachmittag überein: Böen um und bei 34 Knoten. Bedeckt, Regenschauern.
So binden wir schon bei Abfahrt in aller Ruhe das zweite Reff ins Groß und gehen mit beiden Vorsegeln auf die Reise. Wie erwartet Bilderbuch-Talsperren-Downwind-Schnellsegeln mit ausgebaumten YANKEE. Bei GEDSER Riff shiften wir das YANKEE, nehmen den Baum weg und kürzen etwas ab. Die Untiefentonne bleibt heute mal an Backbord liegen. Nächstes Highlight ist das ungehinderte Passieren der Fahrrinne der Fähre, die gerade vor GEDSER dreht um nach ROSTOCK zu gehen.
Der Wind ist nun ohne Landabdeckung in der vollen Stärke von 25+ Knoten da, die Welle auch.
Das Verkehrstrennungsgebiet der KADETTRINNE liegt klar östlich von uns, daher gelten hier die normalen Ausweichregeln der Seeschifffahrtsstrassenordnung. Wir kommen für den West gehenden überholenden Verkehr unter Segeln diagonal von Steuerbord.
Dann hoffen wir mal, das die beiden fast parallel fahrenden Containerjäger uns auch sehen. Der eine läuft mit 14 Knoten, der andere mit 13,x Knoten. Elefantenrennen auf See.
Die eigene Mannschaft beobachtet auf dem Plotter die AIS Signale der beiden Dampfer ganz genau. Entscheidend ist der Wert CPA – „Closest Point of Approach“.
Eigentlich könnte unser Plotter anzeigen, ob die angezeigten 800 Meter Passierabstand VOR oder HINTER dem Dampfer liegen. Also ob wir ihn am Bug oder Heck passieren. Heck wäre ja zu schön, weil absolut sicher. Alle Daten dafür sind vorhanden, aber die Software gibt das leider nicht her. So eine permanente Vektorberechnung braucht wohl zu viel Rechenkraft.
In so engen Revieren wie hier zwischen FALSTER und FEHMARN ist CPA sowieso nur mit Vorsicht zu genießen. Denn die großen Dampfer müssen dem Fahrweg folgen und ändern entsprechend oft den Kurs. Was eben noch klar gehen würde, kann einen Moment später schon sehr eng werden.
Also beobachten wir die beiden Situationen sehr genau, elektronisch und optisch. Es ist trocken und die Sicht gut. Schließlich passieren wir beide Dampfer ein paar hundert Meter vor deren Bug. Bei beiden vermuten wir, das sie ihren Kurs um ein paar Grad nach Steuerbord geändert haben, um genug Abstand zu uns zu halten.
Ostverkehr haben wir gerade nicht, freie Fahrt.
Es sind nur sehr wenige Boote unterwegs. Auf dem AIS können wir vor uns einen anderen Segler auf gleichem Kurs ausmachen, der ein paar wilde Manöver fährt um den dicken Pötten nicht zu nahe zu kommen.
Der Wind frischt weiter auf und wir können mittlerweile gar nicht mehr so genau unterscheiden, ob wir in einer Böe stecken oder ob der viele Wind jetzt zum Dauerzustand wird. Mittlerweile ist das Groß weit offen, das Yankee dritten Reff und die Fock im zweiten Reff.
Knapp 5 Seemeilen vor der Ostspitze von FEHMARN (STABERHUK) wird die Welle sehr unangenehm. Regelrechte Brecher laufen voraus an Steuerbord auf. Ganz selten steigt mal eine am Bug ein, ansonsten nur jede Menge Spray über Deck und manchmal auch im Cockpit. Kein Wunder bei dem Wind. Wir lassen den STORMVOGEL auf maximal-Geschwindigkeit laufen, denn wir gehen davon aus, das die Welle hinter der Landabdeckung stirbt und die knappe Stunde kann man die Waschmaschine wohl gerade so ertragen.
Über FEHRMARN ziehen raabenschwarze Regenwolken und entladen sich kurz vor uns, die LÜBECKER Bucht ist zeitweise nicht mehr zu erkennen. So unangenehm die Situation jetzt auch ist: Unser Boot tanzt zuverlässig wie ein Korken auf den Wellen. Im Deckshaus ist es fast still und absolut gemütlich, kein Wunder das die Mannschaft sich auf der Bank verkeilt hat. Aber so ist unsere Arbeitsteilung an Bord ja häufig. Skipper draußen im tosenden Wind, Mannschaft lesend unter Deck.
OK. Wir ertragen ja viel.
Zu viel Wind.
OK, wenn es sein muss.
Mistige Welle gegenan.
OK, wenn es nicht anders geht.
Aber heftiger (kalter) Regen noch dazu, das geht ja wohl gar nicht!
Dafür fahren wir nicht zur See.
Und irgendwie klappt es tatsächlich mit dem trocken bleiben! Kein Ölzeug auf der ganzen Reise.
Auf der Südseite von FEHMARN ist die bösartige Welle wie erwartet weg. In solchen Reiseabschnitten hat der Skipper oft den Eindruck, das noch mal zwei, drei besonders heftige Brecher um die Ecke kommen, bis es dann schlagartig ruhiger wird. Dennoch sind wir erstaunt, wie hoch und kurz die Welle trotz Landabdeckung noch ist. Was für eine unglaubliche Energie dafür nötig ist?
Jetzt haben wir aber eher das Problem, das wir mehr Höhe laufen müssen, wollen wir die Ansteuerung von GROSSENBRODE ohne Kreuz erreichen. Auf den letzten Meilen locker eine Meile nach Süd versetzt. Auf was man auf dem (!) OSTSEE alles aufpassen muss?
An der Ansteuerungstonne von GROSSENBRODE bergen wir die Segel. Immer noch viel Wind und die Gefahr einer schweren Regenschauer, aber durch den Landschutz überhaupt keine Welle mehr. Die Anspannung legt sich etwas, jetzt nur noch einen passablen Anleger hin legen und gut ist.
Wir gehen erstmals in den Hafen der KLEMENS YACHTWERFT. Da haben wir uns für die kommende Woche einen Liegeplatz organisiert, denn wir „müssen“ mal wieder eine Woche nach Hause. Impfen und Familie.
Der Anleger ist super einfach, denn man hat uns den einzigen Liegeplatz mit beidseitigen Schwimmstegen zugewiesen. Fest montierte Fender rundum. In diese Luxusbox kann man vermutlich auch bei 50 Knoten Wind einlaufen.
Später stellt sich beim Hafenmeister heraus, das gar nicht so klar ist, ob die Box die Woche frei ist. Können wir auch nicht ändern. Wir lassen den Bootschlüssel im Büro und versprechen telefonisch Hilfe zu leisten, falls die Werftcrew den Dampfer vorholen muss.
Es ist nicht so, das dieser Törn richtig scheiße war.
Aber brauchen tun wir so was wirklich nicht.
Peter.
P.S.: Bilder gibt es natürlich nicht. Titelbild aus dem Archiv, gemacht von einem sehr guten Segler, der in seinem Blog im Mai schrieb, das er bei angesagtem Sturm nie wieder segeln würde…kuckst Du hier!
P.S.2: Macht sowieso mal wieder Sinn, im Blog von MAUNIE OF ARDWALL nachzusehen, denn die Sommertour von Dianne und Graham durch Schottland lieferte sensationell tolle Bilder! Und Geschichten sowieso!