SA2223: Carretera Austral, Villa O´Higgens

Befährt man die N7 in CHILE, die Straße ist auch als CARRETERA AUSTRAL bekannt, fragt man mindestens einmal, wer in Gottes Namen auf die verrückte Idee gekommen ist, mitten durch den Urwald, über Flüsse, durch Berge und entlang von riesigen Seen eine Fernstraße von über 1.000 Kilometer Länge zu bauen.

Ganz klar: Ein waschechter Diktator. Hier in diesem chilenischen Fall mit dem Namen PINOCHET.

In jeder anderen Gesellschaftsform würden unzählige Menschen aufschreien und „WARUM?“ rufen. Nur echte Diktatoren haben die Möglichkeit, wirklich verrückte Dinge los zu treten. Das Blöde daran ist, das nur manchmal etwas gutes dabei heraus kommt. Diktatoren müssen um an der Macht zu bleiben viele Menschen umlegen, Leute ausspionieren, dekadent leben und sich im Wesentlichen einfach nur als echter Arsch aufführen. Einfacher Job, eigentlich.

Ablegen de CALEMAN II in PUERTO YUNGAY

Ob nun die CARRETERA AUSTRAL etwas gutes oder schlechtes ist muss wohl jeder für sich selbst beurteilen. Vielleicht würde man in Deutschland heutzutage ein solches Mammutprojekt gar nicht mehr realisieren und den Süden der Republik einfach sich selbst überlassen. Nix mit A7, A5 und so. BAYERN wäre dann ein Naturreservat mit unberührten Landschaften und wilden Eingeborenen.

Die CARRETERA AUSTRAL wurde über Jahrzehnte von Norden aus, von PUERTO MONTT in die Wildnis getrieben. Daher gibt es unterschiedliche Ausbaustufen und Orte, die sich rühmen, der Endpunkt der CARRETERA AUSTRAL zu sein.
So findet sich ein solches Schild in PUERTO YUNGAY. Tatsächlich lange Zeit das Ende der langen Straße. Doch dann hat man auf der anderen Seite des Fjords nochmal knapp 100 Kilometer Felsen gesprengt, Wald gerodet und Brücken gebaut um das winzige Örtchen VILLA O´HIGGENS nahe der Grenze zu ARGENTINIEN an das Mutterland anzuschließen. Um nicht noch mehr Berge zu ramponieren hat man sich offenbar für eine Fährverbindung von PUERTO YUNGAY nach RIO BRAVO entschieden. Der Abschnitt sieht aus wie ein See, ist aber tatsächlich noch ein Stück Meer mit dem Namen ESTERO MICHELL.
Laut allen Reiseführern verkehrte bisher auf diesem Abschnitt nur eine kleine Fähre für fünf oder sechs PKW. Jetzt gehen locker fünfzehn Autos drauf und in der Hochsaison verkehrt die kostenlose CALEMAN II sogar fünf mal täglich in jede Richtung.

RIO BRAVO

An der Rampe in RIO BRAVO (O´HIGGENS Seite) existiert mal gerade ein REFUGIO (Schutzhaus), sonst rein gar nichts. In PUERTO YUNGAY gibt es das auch, aber zusätzlich einen, sagen wir mal, kleinen Imbiss.
Eine herunter gekommene Bretterbude mit fast undurchsichtigen Fensterscheiben. Darin, im irgendwie immer dunklen Raum eine alte Frau, Softdrinks, eine kleine Küche und ein Tresen. Und Millionen selbst gestrickter Pullover, Westen und Mützen. Wenn die alte Frau die alle auf einmal zum auf der Ware ausgezeichneten Preis verkaufen könnte, müsste sie sich wohl nicht mehr jeden Tag die Beine in den Bauch stehen und darauf hoffen, das die wenigen LKW Fahrer oder die im Januar und Februar reichlich vorhandenen Touristen in ihre Bude kommen und etwas zu Essen bestellen.
In PUERTO YUNGAY leben vielleicht zehn Menschen, wenn überhaupt. Die alte Frau ist mit ihrer noch älteren Imbissbude bestimmt die größte Unternehmerin am Ort.

Durch die große Verspätung unserer PUERTO NATALES Fähre erreichen wir erst die 1400 Fähre nach RIO BRAVO. Von der CRUX AUSTRALIS runter, noch auf der schmalen Zufahrtsstraße gewendet und in die einzige Schlange weit und breit eingereiht. Eigentlich muss das die nach RIO BRAVO sein, aber planmäßig legt ja auch die CRUX AUSTRALIS am Abend gegen 2000 mit Ziel PUERTO NATALES wieder ab.

Mal genau hinsehen, von oben nach unten

Die Beifahrerin besorgt bei der alten Frau in ihrem Imbiss vier köstliche selbst gemachten Empanadas. Zwei der Teigtaschen sind mit einer Käse/Spinat Mischung gefüllt, die anderen beiden mit der wohl pikantesten Hackfleischsoße, die CHILE zu bieten hat. So sitzt der Fahrer hoch oben hinter des KNAUS´s Lenkrad, Empanada in der linken, kleiner metallische Zylinder in der Rechten und beobachtet das Entladen der CRUX AUSTRALIS.
Es dauert nicht lange, da fällt dem ehemaligen Seemann ein echtes Problem auf: Es gibt nur eine Rampe! Wenn gleich die RIO BRAVO Fähre kommt, wie kommen wir dann wohl an Bord? Die CRUX AUSTRALIS versperrt ja noch Stunden die Rampe?

Geht die RIO BRAVO Fähre einfach an den Strand, wie die rote TEHUELCHE? Keine Ahnung, was die hier macht. Offenbar rein gar nichts, denn es ist völlig still auf diesem Dampfer. Nicht mal ein Hafendiesel wummert. Oder legt sich die RIO BRAVO Fähre hinter die CRUX AUSTRALIS und wir fahren von der einen auf die andere?
Typisch ahnungsloser Theoretiker. Dieser Fahrer mit seinen vielen überflüssigen Überlegungen. Müsste einfach nur mal abwarten, denn die Eingeborenen machen das hier ja nicht zum ersten mal.

Auf Umwegen

Die RIO BRAVO Fähre CALEMAN II ist mittlerweile gut in Sichtweite, da schmeißt die CRUX AUSTRALIS einfach mal wieder mit ordentlich viel Ruß die Maschine an, die Leinen los und legt ab. Auf dem Ladedeck wühlt sich noch der Gabelstapler durch einen LKW, aber alle anderen Fahrzeuge sind schon weg.
Während sich die CRUX AUSTRALIS frei manövrierend von der Rampe fern hält, legt die CALEMAN II ohne Leinen an, spukt ihre zehn oder zwölf Fahrzeuge in Minuten aus und beginnt mit dem Laden der nächsten Fuhre. Ein Mann läuft die Autoschlange ab und fragt, ob man nach RIO BRAVO oder nach PUERTO NATALES will. Bei letzterem Ziel einfach stehen bleiben, ansonsten: Gas geben!
In zehn Minuten ist die CALEMAN II voll beladen, kein PKW bleibt zurück. Nach einer Viertelstunde ist die Rampe wieder frei und die CRUX AUSTRALIS nimmt sie wieder in Beschlag. Dinge einfach machen. Das ist die Kunst, die uns in Deutschland in unserem Effizienzwahn irgendwann abhanden gekommen ist.

Die CALEMAN II gehört nicht zu den neuesten Fährmodellen und würde sicher auch keinen Schönheitspreis gewinnen. Doch für die knapp einstündige Überfahrt reicht sie allemal.

Gegen 1500 erreichen wir RIO BRAVO und befahren den Urwald von CHILE auf der CARRETERA AUSTRAL. Nur knapp einhundert Kilometer bis VILLA O´HIGGENS, aber wir wissen ja mittlerweile um unsere Durchschnittsgeschwindigkeit von Schotterpisten. Irgendwas mit 35 km/h.

Bitte von den Bildern nicht täuschen lassen: Bei Befahren der Piste rappelt und scheppert es in KNAUSi gewaltig. Egal bei welcher Geschwindigkeit. Schlaglöcher, größere Steine und Waschbrett fordern das Fahrwerk und die Reifen maximal. Die Frage hatten wir ja schon, aber welcher Irre hat noch mal hier den Bau einer Fernstraße in Auftrag gegeben?

Ein wenig die Uhr im Nacken werden auf der Hinfahrt nur wenige Fotostopps gemacht. Der Campingplatz am Ortsrand von VILLA O´HIGGENS ist gut gelegen und bietet mal wieder alles, was man so als Reisender braucht.
Die Beifahrerin schleppt zwei junge Backpacker aus Deutschland an, die mal wieder unsere eigenen Kinder sein könnten. Netter Abend, doch bedenklich, das nur vierundzwanzig Stunden später völlig andere Reisende schon wieder von OMAN als ihr Bestes Reiseland schwärmen. Zuvor, noch auf der CRUX AUSTRALIS, haben das Menschen in unserem Alter auch berichtet. OMAN? Hallo, wo liegt denn das überhaupt?

CARRETERA AUSTRAL zwischen RIO BRAVO und VILLA O´HIGGENS

Am nächsten Morgen kleiner Dorfrundgang und die ernüchternde Feststellung, das O´HIGGENS eben nur das ist. Ein Dorf das auf noch viel mehr Touristen hofft, die in den Cabanas (Hütten), Hostels oder auf den Campingplätzen übernachten und Geld in die Gegend bringen. Für Touristen braucht man in diese Tagen Internet. Sonst kommen weniger. Wie in vielen andere bisher besuchten Dörfern und kleinen Städten auch gibt es hier eine gewaltige Erdfunkstation um den Kontakt zu Außenwelt zu halten.

Auch VILLA O´HIGGENS gibt an, der Endpunkt der CARRETERA AUSTRAL zu sein. Stimmt aber auch wieder nicht, sieben Kilometer weiter gibt es mit BAHIA BAHAMONDE einen weiteren Fährhafen. Da ist dann wirklich mal Schluss mit dieser elendig langen Urwaldpiste.

Folgendes nix für uns weil nix für Autos:
Eigentlich wird es für echte Abenteurer hier erst richtig interessant. Mit einem kleinen Motorboot, das fünfzehn Passagiere und vier Fahrräder laden kann, gelangt man über den See und dann mit einer Wanderung von ein bis zwei Tagen kommt man über die Grenze nach ARGENTINIEN und landet in EL CALAFATE! Wahnsinn, oder? Aber nur bei gutem Wetter, sonst fährt das Boot nicht. Das führt oft zu einem Rückstau an Fahrgästen, die dann trotz Vorabbuchung in VILLA O´HIGGENS erst mal hängen bleiben.

Das wirkliche, echte, derzeitige Ende der CARRETERA AUSTRAL in BAHIA BAHAMONDE

Oder aufgeben.

Am Ortsrand von VILLA O´HIGGENS fragen uns zwei französische Fahrradfahrer, ob wir sie bis RIO BRAVO mitnehmen könnten. Sie seien gestern hier angekommen um das Boot zu nehmen, doch ohne Buchung und durch den Rücktau sei das auf Wochen hinaus nicht möglich. Leider können wir nicht behilflich sein, die Fahrräder bekommen wir einfach nicht unter. Später, in RIO BRAVO sehen wir die beiden wieder: Ein kleiner Pritschenlaster hat sie mit genommen. Alles fügt sich.

Nun also endgültig und ohne Schnörkel nach Norden. Auf der einzigen Straße weit und breit, der RUTA 7, der CARRETTERA AUSTRAL. Auf der eigentlich mehr Fahrradfahrer als Autos unterwegs sind. Kernige Motorradfahrer auch. Die müssen ob des ganzen Schotters bei ihrer Brausefahrt bestimmt mächtig aufpassen. Die Fahrradfahrer hingegen werden Sauerstoffmasken tragen müssen, so viel Staub wie sie schlucken müssen.
Tatsächlich ist das kleine Fahrradbüchlein „Chile: Carretera Austral Die Traumstraße im Süden Chiles, ISBN 978-3-86686-231-9 aus dem CONRAD STEIN Verlag“ denn auch unser Hauptratgeber auf diesem Abschnitt. Der Autor DIRK HECKMANN hat die CARRETERA AUSTRAL gleich zwei mal mit dem Fahrrad befahren und minutiös, besser Kilometer für Kilometer ordentlich dokumentiert.
Tiefer Respekt vor Menschen, die sich freiwillig solchen extremen Herausforderungen stellen!

Auf der Rückfahrt nach RIO BRAVO bleibt viel mehr Zeit für die Fotografie doch leider bleibt es den ganzen Tag über trüb. Wir peilen die vorletzte Fähre an damit wir in PUERTO YUNGAY übernachten können. An einem der zahlreichen Wasserfälle besteht die Beifahrerin darauf, das der Fahrer mal ordentlich frisch gezapftes Gletscherwasser besorgt. Also einen der leeren fünf-Liter Eumel unter den Arm geklemmt, die Hosen aufgekrempelt und höllisch aufgepasst, nicht auszurutschen. Doch das 1A gezapfte Wasser ist erstaunlicherweise etwas grünlich. Wohl über viel Moos ins tiefe Tal gestürzt? Egal, der Eumel ist voll und der Fahrer ist voll Nass. So ein Wasserfall ist eigentlich nur was für den Sommer.

Bisher wartet in RIO BRAVO nur ein anderes Auto, als CALEMAN II ankommt sind es immerhin acht. Zack Zack, wieder verladen und in weniger als einer Stunde sind wir schon wieder in PUERTO YUNGAY. Den erhofften Stellplatz direkt an der Rampe können wir direkt beziehen, die Beifahrerin besorgt bei der alten Frau warmes Brot mit geschmolzenem Käse als Erstversorgung, Empanadas sind aus. Natürlich dürfen wir auf dem Parkplatz übernachten, machen doch alle, sagt die alte Frau.

Wenn jemand Brennholz braucht? In RIO BRAVO gibt es einiges, aber nur an Selbsthabholer

CALEMAN II fährt noch eine Runde und macht dann an der Rampe in PUERTO YUNGAY Feierabend, diesmal aber mit ordentlichen Festmacherleinen. Zwei Besatzungsmitglieder spielen auf dem jetzt leeren Ladedeck Tennis und lachen fröhlich, wenn der Tennisball im Wasser landet und sie ihn mit einem selbst gebauten Catcher angeln müssen.
Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Imbiss der alten Frau sammeln sich weitere Camper, die Morgen mit der ersten Fähre nach RIO BRAVO wollen.

Wir ja nicht, wir wollen nur nach Norden.

Die nächsten Wochen wird es für uns in diesem wunderbaren CHILE nur noch nach Norden gehen.

Peter.

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