Noch mal in die Wüste. Der Wetterbericht verspricht wenig bis gar keinen Wind. Also auch kein „Sand in der Luft“ Problem.
Sehr gut!
Wie schon bei der Anfahrt nach MERZOUGA (N13) handelt es sich bei der N9, die von ZAGORA nach M’HAMID führt um eine Sackgasse, die irgendwo in der Wüste, dicht an der Grenze zu ALGERIEN einfach endet. Das bedeutet: Wenn man da runter fährt, muss man auch wieder den gleichen Weg zurück fahren.
Ist halt so.
Der Wunsch nach M’HAMID zu fahren wurde durch die Kommentare bei PARK4NIGHT zu einem Camperstop am Wüstenrand der SAHARA geweckt. Durchweg so gute, so besondere Bewertungen, das muss dann wohl schon ein ganz besonderer Ort sein.
Also einfach mal ansehen!
Die Fahrt wie üblich einsam und heiß. Erst als wir M’HAMID näher kommen wird die Landschaft noch karger und eintöniger. Die Dörfer, die wir durchfahren und schließlich auch M’HAMID selbst wirken sehr, sehr arm und wirklich heruntergekommen. Die Hauptstraße ist mit tiefen Schlaglöchern durchsetzt, man muss als Fahrer schon ganz schön aufpassen. Auch wegen der vielen Menschen auf der Straße.
Zum Glück kennt das NAVI die letzten vier Kilometer Sand/Schotterpiste, die zu dem CAMP BIVOUAC HASSI SAMARA führt. Obwohl die Piste sehr viele verschiedene Fahrspuren aufweist, ist die Hauptroute gut zu erkennen und es gibt keine Orientierungsprobleme.
Wir kommen schon kurz nach Mittag an und wecken SAID, den Betreiber, ganz offensichtlich. Was für Außenstehende merkwürdig erscheint, hat durchaus seien Sinn. Zum einen ist immer noch RAMADAN, d.h. von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts Essen und Trinken (!). Tagsüber haben wir hier im Moment 32°C im Schatten. Also werden sämtliche Aktivitäten in den frühen Morgen und den Abend verlegt. Tagsüber wird geruht, wann immer möglich.
SAID begrüßt uns freundlich, sein Hund KIWI und seine Katze DIZZI auch. Er kocht schnell einen Begrüßungstee und wir plaudern ein wenig. Schnell stellt sich heraus, das SAID der bisher coolste Marokkaner ist, den wir bisher getroffen haben. Cool im Sinne von entspannt, freundlich, aufmerksam und sehr klug.
Auch hier kann man eine Wüstentour buchen, aber eine große. Zum einen sei die Sandwüste hier viel größer als in MERZOUGA, die höchste Sanddüne der SAHARA, die ERG CHIGAGGA (250 Meter) sei das Ziel. Ca. 50 Kilometer von hier. Mit dem Dromedar. 3 Tage hin, 2 zurück. Erster Tag zu Fuß, weil die Tiere noch voll bepackt mit Zelt und Proviant sind. Jeden Abend campieren in der Wüste, Zelte aufbauen und so. Hört sich echt spannend und besonders an. Mit ca. 250 € pro Person müsse man schon rechnen – nicht viel für so ein großes Programm. Andere Anbieter kurven Hotelgäste in zwei Stunden mit einem Allradjeep zur CHIGAGGA, ein festes Camp gibt es dort auch.
SAID versucht gar nicht erst, uns die Tour zu verkaufen. Sehr zurückhaltend. Sehr angenehm.
Er zeigt uns, wo wir unseren Bus hinstellen können, bringt einen großen roten Teppich und legt ihn vor unserem Bus aus. Damit wir nicht im Sand laufen müssen. Wüstenluxus, erst Recht als der, der den Zündschlüssel bewacht, die Markise ausrollt und wir selbst in der prallen Mittagssonne etwas Schatten haben. Zusammen mit einem lauen Lüftchen wird es angenehm Kühl. So angenehm, das sich KIWI und DIZZI gleich zu uns gesellen.
Wir tüddeln so vor uns her (lesen, Blog schreiben, unnötig zu erwähnen, das man selbst hier bestes 4G Internet über MARCO TELECOM hat) und SAID fragt kurz nach, ob alles OK sein. Ja, mehr als OK. Sehr schön!
Wenn wir Lust hätten? Er würde uns gerne am Abend zu seiner Familie in der Stadt zum Essen einladen. Nichts großes oder besonders, ein einfaches RAMADAN Essen in der Familie. Er fährt sowieso hin und würde uns in seinem Auto mitnehmen.
Oh ja, wie gerne!
Das Fastenbrechen, also die Unterbrechung der Nicht-Essen-und-Trinken-Phase wird überall genau zeitlich abgestimmt. Hier darf man ab 1900 wieder Essen, also steht das Essen auch um 1900 auf dem Tisch, nicht um 1850 oder 1910. Wir verabreden uns für die Abfahrt zu 1840 und sitzen auch genau dann alle im Auto. Der große Jeep passt irgendwie nicht zur restlichen Anlage. Sehr guter Zustand, nix offensichtliches kaputt. Bestimmt der Schatz der Familie, das Auto.
KIWI will auch mit, muss aber laufen.
In M`HAMID ist mittlerweile in der Dämmerung auf der Straße die Hölle los. Schnell noch die letzten Besorgungen erledigen, aufgeregte Anspannung. Gleich gibt es etwas zu Essen! SAID muss auch noch schnell was besorgen, dann fahren wir zum Ortsausgang zurück und halten vor einer Tür, die eher an eine selbst zusammen genagelte Bautür an einen Rohbau erinnert. Ein Rohbau ist das Haus, das wir nun betreten aber sicherlich nicht. Eher eine angehende Ruine.
Durch einen kurzen dunklen Flur gelangen wir in einen großen hohen rechteckigen Raum. Die Zimmerdecke aus kleinen Holzbalken und Stroh wird durch zwei dicke steinerne Säulen getragen. Zur linken befindet sich ein großer roter Teppich, darauf steht ein runder, flacher Tisch mit Tischbeinen von vielleicht 20 cm Höhe. Der Raum ist Rot/Weiß gestrichen. Horizontal unterteilt, unten rot, oben weiß. Der Anstrich ist vielleicht mehr als 20 Jahren alt? An der Stirnseite, die dem kleinen Flur gegenüber liegt steht eine kleine alten Kommode und darauf ein großer Flachbildfernseher und ein Satellitenreceiver. Es läuft eine marokkanische Soup in der ein Schönling einer Schönheit offenbar aufwendig einen Heiratsantrag macht. Inklusive Verlobungsring. Der Kontrast zwischen dem, was im Fernsehen zu sehen ist und dem, was wir in dem einfachen Raum erblicken, er könnte nicht größer sein.
SAID stellt uns seine Familie vor:
JAMILA, 12 Jahre, gerade noch schnell als Pizzabäckerin beschäftigt. FATIMA 27 Jahre, kommt gerade von ihrem Job im kleinen Dorfsupermarkt und muss nach dem Essen auch wieder da hin. Bis 2300 geht die Schicht. Müde ist sie jetzt schon.
JONAS, 17 Jahre, ein hochgeschossener Kerl, der SAID im Camp bei der Arbeit hilft. SARAH, die Mutter von insgesamt fünf Geschwistern und die Oma. Der Vater ist schon gestorben und man merkt den ganzen Abend, das SAID als das älteste Kind so was wie die Vaterrolle aktiv ausfüllt.
SARAH macht Pfefferminztee. Abenteuerlich: Alle Zutaten in eine Teekanne und die dann in die glühende Kohle eines offenen Holzkohlegrills, der mitten im Raum herum steht. Alle laufen Barfuß, das mal bloß keiner dieses offene Feuer um schmeißt!
1900. Wir sitzen alle auf dem Boden um den runden Tisch und langen zu. Vorweg gibt es für alle eine große Schüssel Linsensuppe, dann nimmt jeder, was er will vom Tisch. Pizza, gefüllte Teigtaschen, Datteln, hart gekochtes Ei, Brot. Selbst gemachten Fruchtshake und weiter jede Menge Tee.
Es schmeckt so was von vorzüglich! Anfangs wird kaum geredet und wir fragen, ob es OK sei, beim Essen zu reden. Ja klar, fühlt euch wie zu Hause, sagt SAID. Und so erzählen wir von unseren Kindern, JAMILA erzählt davon, das sie auch gerne Lehrerin werden möchte. Wie FATIMA. Sie hat ihr Studium fertig und wartet auf eine Anstellung. Doch ihre Bewerbung um einen Arbeitsplatz in ZAGORA blieb unbeantwortet. Nächstes Jahr will sie es noch mal versuchen. Es gebe so gut wie keine Arbeit in MAROKKO.
Als auch noch die Touristen ausblieben sei die Lage in der Gegend ganz schlecht geworden. SAID hat versucht, vom Staat eine Unterstützung zu bekommen, doch seine vielen Briefe an die Verwaltung in ZAGORA blieben ebenfalls unbeantwortet.
Wir berichten, das wir in Deutschland eher das umgekehrte Problem haben: Viel Arbeit, insbesondere im Handwerk, aber keine Leute, die das machen wollen. Schwer zu glauben für die kleine Familie von SAID.
Gegen 2000 ziehen sich nacheinander alle kurz zu einem Gebet zurück, völlig still und zurückhaltend.
Mit einem Male beginnt die Oma sich am Gespräch zu beteiligen. SAID muss natürlich jedes Mal übersetzten, aber wir verstehen folgendes:
Der Urgroßvater (also der Vater der jetzigen OMA ;-)) hatte als junger Mann immer Lieder davon gesungen, das er nach Deutschland gehen werde. Sie summt die Melodie. Und später tat er das dann auch: Als Soldat, der für Hitler kämpfte. Er habe den Krieg überlebt und sei zurück gekommen. Doch sei es nicht lustig, das er zunächst immer über Deutschland Lieder gesungen habe?
Und wieder was über die eigene Geschichte gelernt an einem Ort, an dem man alles mögliche, aber nicht das erwartet hätte.
Das Essen schmeckt wirklich gut, doch wir halten uns unbewusst zurück. Denn die Familie wird die ganze Nacht weiter essen, bis zum frühen Morgen. Anders wird man den neuen Fastentag wohl auch nicht überstehen können.
Wir bitten SAID uns zurück zu bringen.
Die Beifahrerin hat ein paar Gastgeschenke mitgebracht und will auch noch etwas Geld da lassen. Auf keinen Fall! Das war eine Einladung und für eine Einladung nimmt man schließlich kein Geld! Die bekannt energische Beifahrerin wird von dem, der den Zündschlüssel bewacht, schnell gestoppt. Bevor eine peinliche Situation entstehen kann. Wir regeln das besser am nächsten Morgen im Camp mit SAID alleine.
Vor der Tür steht KIWI, doch auch den Rückweg muss er auf den eigenen vier Pfoten antreten. Es ist stockdunkel und wir würden den Heimweg ohne Führung auf keinen Fall mehr finden.
Aber SAID kennt natürlich auch in Dunkelheit den Weg.
Als wir im Camp aus dem Auto steigen bleibt uns schlicht die Spucke weg:
JONAS ist mit seinem Mofa vorgefahren und hat vor unserem Auto und auf dem Weg zum Klo Kerzen in Papiertüten angezündet. Sternenklare Nacht, ein laues Lüftchen, Kerzenschein. Wir sitzen noch eine ganze Weile in unseren Stühlen auf dem Teppich vor unserem Auto und sind völlig gerührt von dieser ganz normalen Familie im tiefen Süden von MAROKKO.
Und wirklich philosophisch wird es, als uns wieder einmal klar wird, das alle Menschen auf der Welt eigentlich nur das Gleiche wollen: Arbeit, um den eigenen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, eine kleine Familie, Gesundheit und wenn es dann noch geht auch mal Urlaub. Nur wenige sind Idioten und laufen als Gauner und Gangster durch die Gegend.
Die Welt mit ihren Menschen ist viel besser, als wir immer denken.
Peter.
P.S: Dieser Beitrag entstand unter ausführlicher Mithilfe der Beifahrerin. Schließlich war sie ja auch schon mal auf einer anderen Reise Kommunikationsoffizier.