Jetzt geht es um echte Helden!
Vor allem geht es um echte Helden, die eine Katastrophe überlebt haben weil sie niemals aufgaben und schon gar nicht wie so viele andere Helden einen sinnlosen Tot starben.
Es geht um die dreiunddreißig Bergleute der Mine SAN JOSE im Norden von CHILE, die am 5. August 2010 um 13:40 Uhr Ortszeit tief unter der Erde während ihrer Arbeit verschüttet wurden.
Es geht um die dreiunddreißig Bergleute, die achtzehn (18!) Tage in völliger Isolation in der Hoffnung auf Rettung ausharrten, ohne überhaupt zu wissen, ob nach ihnen gesucht wurde.
Es geht um die dreiunddreißig Bergleute, die nach siebzig (70!) Tagen intensivster Rettungsversuche alle lebend geborgen werden konnten.
Warum sind das echte Helden?
Weil sie in scheinbar auswegloser Situation niemals aufgegeben haben!

Die ersten achtzehn Tage nicht, als an der Erdoberfläche niemand wusste, ob die verschütteten Bergleute überhaupt noch leben. Und auch die folgenden qualvoll langen zweiundfünfzig Tage danach nicht.
Nicht aufgeben!
Sicher, Bergleute sind wie Fischer auch nur Räuber der Natur. Mit hohem technischen Aufwand nehmen sie einfach das, was schon immer da ist bis einfach nichts mehr da ist. Dann ziehen sie weiter. Während einige Fischer wenigstens in die eigene Tasche wirtschaften können, schuften Bergleute immer für große anonyme Konzerne.
Bergleute sind eher die armen Schweine, die einen sehr gefährlichen, knüppelharten Job machen um mit den gewonnenen Rohstoffen unser modernes Leben zu ermöglichen. Subjektiv werden sie gut bezahlt, objektiv wohl seit jeher ausgebeutet.
Die Mine von SAN JOSE wurde mit Stollen im ZIG-ZAG Verfahren über siebenhundert Meter tief in die Erde getrieben. In einer Tiefe von vierhundert bis fünfhundert Metern ist der Stollen kollabiert und zusammengebrochen. Plan A war, den Stollen von oben her wieder frei zu räumen. Doch musste dieser Plan schnell aufgegeben werden, weil klar wurde, das die Arbeit daran viel zu gefährlich war und es jederzeit zu weiteren Einbrüchen kommen würde.

Bereits zwei Tage nach dem Unglück begann man mit neun parallel laufenden Probebohrungen nach den Bergleuten zu suchen. Denn niemand wusste genau, wo sie sich zum Zeitpunkt des Stolleneinbruchs befanden. Die Probebohrungen schafften achtzig bis einhundert Tiefenmeter pro Tag. Dennoch dauerte es achtzehn lange Tage, bis am Sonntag, den 22. August 2010 um 06:00 Uhr Morgens der Bohrkopf die Decke der Hohlkammer durchbrach, in dem sich die dreiunddreißig Bergleute befanden.
Einer der eingeschlossenen heftete einen hastig geschriebenen Zettel an den Bohrkopf, bevor er wieder hoch gezogen wurde:
„ESTAMOS BIEN EN EL REFUGIO LOS 33“
Die Unterschrift „LOS 33“ wird legendär für die eingeschlossene Schicksalsgemeinschaft.
Von da an war klar: Alle leben!
Was muss das für eine Erleichterung für alle Beteiligten gewesen sein! Die vielen Familien, die mittlerweile auf dem Minengelände zelteten um ganz nah´ bei ihren Leuten unter der Erde zu sein. Die Eingeschlossenen selbst, die bis dahin ja nicht einmal wussten, das nach ihnen gesucht wird. Die an der Rettungsaktion beteiligten Bergleute auf der Erdoberfläche, die unermüdlich rund um die Uhr nach ihnen gesucht haben. Und schließlich auch die Politiker des Landes, denn kein geringerer als der damalige Präsident PINERA übernahm bereits nach vier Tagen die Führung der Rettungsaktion.

Nur durch diesen unbedingten Willen aller zur Rettung der Bergleute konnten die notwendigen Kräfte mobilisiert werden, die schließlich zum Erfolg führten.
Durch zwei parallel betrieben Bohrungen wurden mit Plan B und Plan C gleich zwei Rettungswege in die Erde getrieben. Denn beim Bohren weiß man wohl nie, ob man da ankommt, wo man ankommen möchte. Ob man überhaupt irgendwo ankommt.
In Zusammenarbeit mit der NASA und der chilenischen Marine wurde während der Bohrzeit die Rettungskapsel FENIX 2 entwickelt und gebaut. Dieser kleine Metallzylinder war quasi der Fahrstuhlkorb, mit dem die eingeschlossenen Männer einzeln an die Erdoberfläche geholt werden sollten. Damit auch wirklich alle da nacheinander rein passten, mussten die Männer unter Tage zu allem Unglück auch noch eine strenge 2.500 Kilokalorie Diät halten.
Was für ein Albtraum!
(Nicht die Diät)

Nach dreiunddreißig Bohrtagen erreichte Plan B am 9. Oktober 2010 die Kammer, von der aus die Bergung erfolgen sollte. In der Zwischenzeit hatte man einen viel kleineren Versorgungsschacht in die Erde getrieben und sogar eine Telefonverbindung hergestellt um das tägliche Leben unter der Erde zu erleichtern.
Aber das Risiko, das FENIX 2 irgendwo auf der langen Stecke durch den Fels steckenblieb, war gewaltig!
Platzangst dürfen Bergleute wohl per Berufsdefinition nicht haben. Aber eingezwängt in dieser kleinen Stahlröhre, siebenhundert Meter durch den Fels gezogen zu werden, das ist wohl für jeden einzelnen noch so erfahrenen Bergmann schon mal eine wirkliche Horrornummer.
Vor der eigentlichen Bergung hatte man den Bergleuten neue Overalls nach unten geschickt, damit sie nicht wie letzten Lumpen zurück an die Erdoberfläche kommen. Auf der Brust stolz die chilenische Flagge, darauf der Spruch:
„Gracias Senor!“
und darunter für die vielen internationalen Fernsehteams in englisch
„Thank you Lord!“
„Gracias Senor!“ ist so simpel, so einfach, so unglaublich cool.
Auf einer Informationstafel ist der zeitliche Ablauf der eigentlichen Bergung zu lesen. Während man anfangs noch gut eine Stunde je Fahrstuhlfahrt brauchte, dauerte es am Ende nur noch wenig mehr als zwanzig Minuten. Und wie es sich gehört: Der Schichtleiter LUIS URZUA ließ sich als letzter abbergen. Ein Held unter Helden.

Kennt man auf See ja auch. Der Kapitän geht bekanntlich immer als letzter von Bord. Bis auf italienischen Kreuzfahrtschiffen die Kapitäne neuerdings bei selbstverschuldeten Haveriefällen als erste in die Rettungsboote fallen.
Die Mine SAN JOSE wurde selbstverständlich still gelegt und mit einigem Aufwand als Freilichtmuseum her gereichtet. Betreten darf man die Anlage leider nicht. Ob nun Einsturzgefahr oder was auch immer dagegen spricht, dadurch ist der Besuchswert ein wenig gemindert. Auch wurden sämtliche Maschinen leider abgebaut. Sicher, die kosten ein Vermögen und sind sicherlich wo anders längst wieder im Einsatz.
So hat man einfach an den entsprechenden Stellen auf dem Gelände große Türme aufgestellt, die durch nummeriert, einen oberhalb des Geländes gelegenen Aussichtspunkt errichtet und dort jede Menge Informationstafeln aufgehängt.
Hier die einzelnen Handlungsorte auf den Bildern:
(1) Esperanza (Hope) Camp der Angehörigen
(2) Ursprünglicher Tunneleingang zur Mine SAN JOSE (Plan A)
(3) Plan B und später der tatsächlich genutzte Rettungsschacht
(4) Plan C
(5) Kommunikationssonde
(6) La Milagrosa Sonde
(7) Krankenhaus
(8) Hubschrauberlandeplatz
In einem Raum hängen die Portraits der geborgenen Bergleute. Wirklich emotional wird es, wenn die Bergleute ihre Frauen wieder sehen. Ich habe mir erlaubt, einige dieser Bilder einfach zu kopieren. Wie auch fast alle Hinweistafeln. Quellenangabe schwierig, da unklar bleibt, wer bzw. in wessen Namen die Bilder und die Tafeln gemacht wurden.
Auf dem Aussichtspunkt trifft man JORGE GALLEGUILLOS, der am 12. Oktober 2010 um 09:31 Uhr wieder das Licht der Welt erblickte. Zusammen mit einem Helfer kümmert sich dieser gerettete um das Freilichtmuseum und wohnt auch während der Öffnungszeiten Mittwochs bis Sonntags inmitten der wüsten Einöde am Ort seines Unglücks.

Zu schade, das die Sprache mal wieder eine unüberwindbare Hürde aufstellt. Zu gerne hätte ich Jorge Löcher in den Bauch gefragt. Was habt ihr überhaupt abgebaut? Wie alt bis Du jetzt? Kann man die Angst nicht gesucht zu werden beschreiben? Wie habt ihr zurück ins Leben gefunden? Was ist aus den anderen geworden? Wie hältst Du es am Unglücksort aus?
Dreiunddreißig Flaggen. Zweiunddreißig von CHILE, eine von KOLUMBIEN, denn einen Gastarbeiter hatte das Team unter Tage auch. Nicht mal im Ansatz ausgeweht, wie neu wehen sie stolz im Wind für jeden einzelnen Helden der „LOS 33“.
Wir durften auf dem Besucherparkplatz übernachten und blieben daher zwei Tage an der Miene. Eigentlich waren permanent Besucher da, was für den nicht einfach mal eben so zu erreichenden Ort spricht.
So lange Jorge da ist, werden die des spanisch mächtige Besucher sicher alle Informationen bekommen, die es zu überliefern gibt.
Aber wenn er mal nicht mehr ist, dann werden die Informationstafeln nicht ausreichen. Leider.
Und irgendwann wird dieser besondere Ort motivierender menschlicher Leistungsfähigkeit mal vollends ins Vergessen geraten. Leider.
Ein Seitenaspekt:
Die aktuelle Fahrerin liest gerade das Buch „Überleben“ von PIERS PAUL READ (RIVA Verlag). Darin geht es um die wahre Geschichte einer Rugby Mannschaft aus URUGUAY, die in den 70iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit dem Flugzeug über den chilenischen Anden abstürzt. Nicht alle, aber sehr viele überleben den Absturz auf über 3.000 Meter Höhe in den Anden. Zwar wird der Verlust des Flugzeuges bemerkt und man startet auch eine Suchaktion, doch nach wenigen Tagen wird die Suche einfach eingestellt weil die Verantwortlichen sich damals sicher waren, das niemand überleben konnte.
Haben sie aber!
Es dauerte ebenfalls siebzig Tage bis die ersten gerettet werden konnten. Oder besser, selbst für Rettung sorgten. Siebzig Tage. Was für eine Parallele!
Und vielleicht war es dieses schreckliche Ereignis, dieses schreckliche Versagen, das den Präsidenten PINERA vierzig Jahre später dazu bewog, mit allen Mitteln nach den verschütteten Bergleuten suchen zu lassen. Koste es was es wolle. So lange, bis Klarheit herrscht. Tot oder Lebendig.
Nicht aufgeben.
Niemals!
Peter.
P.S.: Quellenangabe: Alle Bilder von „schlechter“ Qualität sind im Museum MINA SAN JOSE abfotografiert.