SA2223: PUERTO WILLIAMS

Achtung!
Es folgt ein langer Text.
Die von einer zur Selbstüberschätzung neigenden und von Natur aus überheblichen „Künstlichen Intelligenz“ (KI) vorausberechnete Lesezeit beträgt 2 Tage, 21 Stunden und 4 Minuten. Oder so ähnlich.

„Name Dropping“ bezeichnet ein zweifelhaftes Kommunikationsverfahren, in dem man im Gespräch oder im geschriebenen Text versucht, möglichst viele bekannte Orts- oder Personennamen unterzubringen, um sich damit wichtiger zu machen. Vor dem Gesprächspartner, vor dem Leser oder vor GOOGLE.

OK, fangen wir mal damit an:

KAP HOORN
FEUERLAND
BEAGLE KANAL
MAGGELAN STRASSE
PATAGONISCHE KANÄLE
ANTARKTIS
EWIGES EIS

OK, reicht jetzt auch schon.

Die Fähre YAGHAN wird in PUNTA AREANS beladen

ARGENTINIEN und CHILE leben zwar im Frieden entlang ihrer endlosen Grenze miteinander, aber so richtig grün sind die beiden sich nicht. Daher gibt es keine Schiffsverbindung von USHUAIA (Argentinien) ins schräg gegenüberliegende PUERTO WILLIAMS (Chile) über den BEAGLE KANAL. Eine solche Fähre würde vielleicht eine Fahrzeit von 2 Stunden haben. Damit könnte problemlos das kleine PUERTO WILLIAMS vollständig aus der Großstadt USHUAIA versorgt werden.

Wird es aber nicht. Denn es gibt keine Schiffsverbindung zwischen diesen beiden südlichsten Orten beider Länder.

PUERTO WILLIAMS wird alle sechs Tage von der Frachtfähre YAGHAN von PUNTA AREANS aus versorgt. Wenn Platz ist, werden auch PKW´s für viel Geld mit genommen. Oder auch Passagiere. Für die menschliche Fracht gibt es ein eigenes Deck, das man sich wie das innere eines Flugzeuges vorstellen kann. Die einfachen Liegesitze sind nicht wirklich schlecht. Besser als im Flugzeug allemal. Aber wenn man einen der wenigen Schlafsofa Sitze ergattert, dann kann man während der anderthalb Nächte, die die Überfahrt dauert, sogar richtig schlafen.

Vom Vogel keine Ahnung…

Da gibt es nur ein klitzekleines Problem:

Als Tourist kann man diese Sitze nicht im voraus buchen. Denn die sind für „Residentes“, für die Eingeborenen reserviert. Erst wenn kurz vor Abfahrt fest steht, das einige Sitze wirklich frei bleiben werden, kommen sie in den Verkauf und man kann nur vor Ort im Büro am Hafen als Tourist das Upgrade buchen. Das ist nicht das einzige Privileg der Eingeborenen: Sie reisen nur zu einem sechstel (!) der Kosten, die wir Touristen bezahlen müssen.
Das Eingeborene einen (deutlich) geringeren Preis für eine Leistung bezahlen als Touristen haben wir ja schon öfters erlebt. Aber die Privilegien auf der Fähre nach PUERTO WILLIAMS übertreffen alles bisher gesehene.
Finden wir dennoch gut. Es macht sehr viel Sinn, das normale Leben der lokalen Bevölkerung vor großen Touristenschwärmen zu schützen. Stichwort AIRBNB entvölkert die Altstadt in LISSABON.

Es sind gut fünf Kilometer vom Camperstop zum Fähranleger. Eigentlich gut zu schaffen, aber für die kleine Schiffsreise müssen wir ja zu Backpackern mutieren und alles auf den Schultern mitnehmen, was wir so brauchen. Trotz akribischen Packens kommen wir auf zwei Rucksäcke und drei Taschen. Der Plan: Wir gehen mal los und wenn wir ein Taxi sehen nehmen wir das.
Wir sehen auch viele Taxis, doch leider alle besetzt. Erst auf der Hälfte der Strecke haben wir Glück und werden vom Schleppen erlöst.

Mitlaufender Fischer in der MAGGELAN Strasse

Bestes, wirklich allerbestes Wetter an der MAGGELAN STRASSE! Die Fähre YAGHAN pendelt alleine auf dieser Strecke und wird bereits mit LKW Trailern beladen. Ganz normales Verladegeschäft in einem Fährhafen. Aber herrlich ungeregelt! Nichts hinter Sicherheitszäunen und von Wachleuten versteckt. Alles offen, keiner stört sich am Fotografieren. Wie schön!

Die Fähre legt um 1800 ab, zwei Stunden vorher dürfen die Passagiere an Bord. Während weiter Fracht geladen wird. Das hier keine Unfälle passieren liegt wohl nur daran, das alles in einer gewissen Ruhe abläuft und es auch nicht um Massen von allem (LKW´s, PKW´s, Menschen) geht.

Es führt kein direkter Kurs von PUNTA ARENAS nach PUERTO WILLIAMS. Klar Süd in der riesigen MAGGELAN STRASSSE, dann durch die Kanäle erst in die falsche Richtung nach Westen, dann wieder Süd und schließlich auf richtigem Kurs lange nach Osten. Anfangs gibt es nicht wirklich viel zu sehen. Erst viel Wasser, gegen Mitternacht ist es dann auch hier mal dunkel und ab 0400 beginnt die Morgendämmerung. Da hat man dann schon auf beiden Seiten Land und es wird so interessant, das man sich draußen an Deck die Füße in den Bauch steht und dabei auch noch friert.
Auf der Fähre hängen Zeittabellen aus, wann genau welche Sehenswürdigkeit in Sicht kommt. Wenn der Fahrplan denn eingehalten wird. Je länger der volle Seetag dauert, um so häufiger kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Schlagzahl der Sehenswürdigkeiten nimmt deutlich zu. Sieht man am PERITIO MORENO nur einen Gletscher, folgen hier im Minutentakt gleich fünf. Und was für mächtige Eismonster dabei sind!

Boooääääähhhhh!

Das ist mal ein Gletscher!

Borddurchsagen gibt es natürlich keine. Ist ja kein Kaffeedampfer. Muss man schon selber aufpassen. Nur einmal, am größten Gletscher dreht der Kapitän eine Ehrenrunde mit der Fähre, damit auch wirklich alle zu ihrem Foto kommen. Und wie um das alles noch zu toppen machen wir auch noch kurz Station am Außenposten YENDEGAIA und liefern dort einen vermutlich gut gefüllten kleinen roten LKW, Diesel und Pakete ab. Das Militär hilft beim Entladen, fest gemacht wird für die 10 Minuten nicht. Hat schon ein wenig was von Stunt, funktioniert aber.

Vertiefende Kontakte kommen an Bord nicht zu Stande. Sicher, Smalltalk beim Essen oder mal ein Hallo, aber bis auf eine Begegnung nichts von Bedeutung.

An einem Abend sitzen wir mit Anna aus MEXIKO am Tisch. Sie schaut sich als Tourist die Welt an und überlegt, wo sie mal arbeiten möchte. Während des Studiums war sie für ein Semester in BONN. Die für die Reisegruppe gesprächsführende Beifahrerin möchte wissen, was ihr an DEUTSCHLAND gefallen habe. Annas Antwort war schlicht umwerfend:

Sicherheit! Das man zu jeder Zeit über die Straße gehen kann, ohne überfallen zu werden.

So, DEUTSCHLAND, nimm das! Bäng! Kannste selbst sehen, wie Du mit was positivem über Dich selbst klar kommst! DEUTSCHLAND, Du Land der Nörgler.

PUERTO WILIAMS, CHILE

Am zweiten Abend denkt keiner ans Schlafen. Alle wollen ankommen. Die Eingeborenen sind regelrecht aufgekratzt und freuen sich sichtlich. Wir Touristen sind voll angespannter Erwartung, müssen wir doch alle in unbekannter Umgebung mitten in der Nacht unsere Schlafplätze in einem der zahlreichen Hostels in PUERTO WILLIAMS finden.

Im BEAGLE Kanal steht eine ordentliche Welle und an Deck pfeift der Wind. Und das, obwohl wir vor dem Wind laufen! Klarer Fall von mehr als 20 Knoten Wind. Auf der Rückfahrt kachelt es entsprechend. Die Fähre schneidet durch ihre Bugform ja keine Welle, sie überfährt die Wellen eher wie ein Bügeleisen und versucht sie dabei platt zu bügeln. Jedenfalls Wellen bis zu einer gewissen Größe. Wenn dann mal eine Welle doch zu groß ist knallt es eben heftig und wirklich alles rappelt an Bord. Das passiert auf der Rückfahrt öfters mal und auf einmal stoppt die Maschine und wir treiben zurück. Irgendwas auf dem Autodeck hat sich los wohl gerappelt und die Mannschaft muss neu laschen. Besser jetzt bei Tageslicht als später im dunklen. Erst nach 30 Minuten fahren wir weiter.
Später mal sehen, ob der GPS Tracker die Geschwindigkeit über Grund in diesem Abschnitt mit bekommen hat. Dürfte nicht viel gewesen sein, so lange wie wir USHUAIA querab an Steuerbord hatten. Später auf dieser Rückreise haben wir weitgehend eine Ententeichsituation in den Kanälen.

Zeltplatz in PUERTO WILLIAMS, CHILE

Die Fähre wurde ganz offensichtlich für den Einsatz in diesem eigentlich doch sehr geschützten Revier umgebaut. Die Rampe in Fahrtrichtung kann nicht mehr geöffnet werden. Zusätzlich zu den hydraulischen Verschlüssen ist sie mit mächtigen Spannschrauben gesichert und quer über die ganze Rampe ist ein T-Träger zur Versteifung geschweißt. Das scheint auch notwendig, schaut man sich die Vibrationen der Heckrampe an. Wie Papier wabbelt sie herum. Wie eigentlich der ganze Dampfer. Soll der wirklich aus Stahl sein?

Als wir mitten in der Nacht in PUERTO WILLIAMS ankommen verlassen wir zügig die Fähre und gehen die 700 Meter zum Hostel zu Fuß. Hätten wir uns auch sparen können, denn die Wirtin war mit ihrem Auto am Hafen um uns und zwei weitere Gäste aufzusammeln. Scheint hier Sitte zu sein und macht ja auch Sinn. Nicht das die Touristen sich in der Dunkelheit auch noch verlaufen und noch später ankommen.

Eigentlich wollen doch alle nur ins Bett.

Die kleine Reisegruppe schläft lange, kocht sich nach dem Aufstehen einen Kaffee im Hostel und landet pünktlich zur ersten Halbzeit MAROKKO – PORTUGAL in einer etwas besseren überhitzten Pommesbude. Egal, Hauptsache was üppiges essen, die Mahlzeiten an Bord, serviert auf einem Menüteller aus Metall, sind doch recht, wie soll man es nett sagen, einfach.
Alles in Butter. Keine Aufregung. Diese Frachtfähre ist ja schließlich kein 5-Sterne Kreuzfahrer und für Hin&Zurück 500 Euro für zwei Personen und fünf Tage kann man auch wirklich nicht mehr erwarten. Außerdem kochen wir im Auto sowieso am Besten.

Alkohol ist an Bord verboten. Statt dessen wird von einem Automaten umgerührte süße Limonade zum selber zapfen angeboten. Der Fahrer kann sich gerade so beherrschen und hat vorsorglich kleine metallische Zylinder, absolut nur für den heimlichen Eigenkonsum, an Bord geschmuggelt. Allerdings geht diese Heimlichkeit zu Lasten der Kühlung, aber warmes Bier hilft ja auch gegen alles.

Auf beiden Passagen sehen wir jeweils ein Segelboot. Dafür in PUERTO WILLIAMS gleich sechs. Alle an Land stehend und an allen wird irgendwas geschraubt. Der kleine Fischerheihafen hat einen 35 Tonnen Travellift. Eine weit in das Wasser ragende Pier wird gerade erneuert. Die ist aber eher was für richtige Schiffe. Kreuzfahrer?

Einfach nur spektakulär…

Die Fährgesellschaft TABSA hat auf ihrer Homepage ein Video der Passage bereit gestellt. Kann man sich hier ansehen, wenn einem die Bilder nicht genug sind.

Die für soziale Kompetenz zuständige Beifahrerin hat folgende noch erwähnenswerte Beobachtung an Bord gemacht:
Nach dem Essen auf dem Unterdeck kommt der Chefsteward immer noch mal ein Deck höher auf das Passagierdeck und verteilt übrig gebliebens Obst, Yougurts oder auch belegte Brote.

Aber nur an die jungen, durch trainierten Backpacker! 😉

Peter.

P.S.: Die Fährfahrt war wirklich anstrengend und wir kommen erschöpft zurück. Aber das war schon eine kleine Sensation, mit 18 KM/h tagelang unterwegs zu sein. Und ja, heute sind viele Texte online gegangen, weil der Schreiberling auf der Fähre Zeit hatte, alles mal aufzuschreiben. Dabei fehlt noch so viel. Zum Beispiel wie ermutigend es zu sehen ist, wie viele junge Menschen mit dem Rucksack unterwegs sind um die Welt zu erkunden. Kilometerlanges Wandern, Zelten bei 5°C. Wer die Welt so erlebt, wird sie ein Leben lang zu schätzen wissen!

P.S.2: Im Stillen haben wir auf dieser kleinen Reise Abschied von einem wahrlich einmaligen Segelcharakter genommen. Wie viele andere auch hatte er sich ein selbstbestimmtes Ableben erhofft. Gar nicht weit von hier, „mit einer Rolle vor KAP HOORN“. Im Namen seiner Frau haben wir PUERTO WILLIAMS von beiden herzlich gegrüßt.

2 Kommentare

  1. Moin aus Holm!
    Bei dem Seevogel wird es sich wahrscheinlich um einen Riesensturmvogel handeln‐ ein Aasfresser, der wie Albatrosse u.a. bis auf die Brut fast ausschließlich auf dem Meer lebt. Es ist zu lesen, dass er gern Schiffen in der Hoffnung auf weggeworfene Abfälle folgt.
    Weiterhin viel Spaß und Vorsicht, falls Argentinien am Sonntag Weltmeister wird…:-)))
    Bernd

    1. Hallo Bernd,
      OK, im Geheimen hatte ich schon gehofft, es wären Albatrosse. Aber in den Erzählungen waren die immer viel größer 😉 Mal sehen, was da noch so kommt.
      Ja, wir wollen Morgen Mittag unbedingt in USHUAIA in einer Kneipe oder was auch immer dabei sein, wenn ARGENTINIEN Weltmeister wird. Was anders kommt ja gar nicht in die Tüte. Jedenfalls hier nicht 😉
      glg Peter.

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