Wenn man in diesem südlichen Teil von PATAGONIEN unterwegs ist, trifft man auf menschenleere Gegenden, karg bewachsene Landschaften und auf jede Menge Wind!
Dieser starke patagonische Wind ist allgegenwärtig, Windstille haben wir bisher hier noch nicht erlebt. Oft frischt der Wind am Nachmittag langsam auf, bis er am Abend so kräftig bläst das man wohl von einem Sturm sprechen kann. Bis in die frühe Nacht geht das so, dann flaut er ab und am nächsten Tag geht die ganze Windmaschine wieder von vorne los.
Muss vermutlich irgendwas mit den nahen ANDEN, der Sonne und der riesigen Steppenlandschaft zu tun haben?

Für die meisten eingeborenen Camper ist der starke Wind ein echtes Problem. Denn sie sind mit einfachen Igluzelten unterwegs, deren Fiberglaszeltstangen im Wind einfach eindrücken und das Zelt damit eigentlich unbrauchbar machen. Daher suchen die wirklich erfahrenen Zelter immer die hinter letzte Ecke eines Platzes, da sie hoffen, dort dauerhaft Windschutz zu finden.
Windräder, die diesen stetig blasenden Wind schamlos ausnutzen, haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Logisch, wo keine Menschen wohnen braucht man keine aus Wind erzeugte elektrische Energie.
Doch das stimmt nicht so ganz.

Je weiter wir nach Süden vorstoßen, um so mehr Touristennester gibt es entlang der ANDEN. Das sind Orte an besonderen Naturerscheinungen Mitten im Nirgendwo. Die Anreise mit dem Auto oder Reisebus führt über 100, 200 oder gar 300 Straßenkilometer. Einfacher Weg. Diese kleinen Städte sind wie Insel im Ozean. Brennholz als Energieträger ist sicher traditionell. Doch seit elektrischer Strom benötigt wird, stehen an den Ortsrändern mehr oder weniger gut schallgeschützte Generatorhäuser mit schweren Dieselmaschinen, die rund um die Uhr, wirklich jeden Tag im Jahr laufen müssen, um das Leben im Ort am Leben zu halten.
Wenn ein Ort zu 90% aus Restaurants, Hotels und Hostels besteht, kann man das wohl so behaupten.
EL CHALTEN, am Fuße des berühmten FITZ ROY gelegen ist so ein Touristennest. Die Maschinen im Generatorhaus sind zwar gut zu hören, aber optisch wirklich unauffällig. Nur wenn der starke Wind mal nachlässt bekommt man einen leichten Dieselabgasgeruch in die Nase.

Die Stichstraße (RN20), die nach EL CHALTEN von der RUTA 40 aus führt, ist gut 80 Kilometer lang. Alle 20 Kilometer sehen wir am Straßenrand einen wie wild herumwerklenden Bagger und einen Schaufellader. Dazwischen, im Staub und Dreck einen Menschen in orangener Sicherheitskleidung. Hier wird ein dreiadriges Erdkabel zur Stromversorgung von EL CHALTEN verbuddelt. Abseits der Straße: Das Kabel liegt bereits abgerollt auf der ganzen Strecke, der Bagger buddelt ein paar Meter Graben, die Arme Socke in Orange zieht das Kabel hinein und der Schaufellader schiebt den Graben direkt wieder zu. Ganz schön fix, die drei. Wir zählen fünf von diesen kleinen Bautrupps. Dennoch, 80 Kilometer sind schon eine große Strecke. Bei dem vielen stürmischen Wind ist es sicher viel schlauer, auf Erdkabel denn auf Strommasten zu setzen.
Die Anfahrt nach EL CHALTEN liefert permanent neue spektakuläre Bilder des jederzeit prägnanten FITZ ROY. Der Fahrer muss aufpassen, nicht allzu oft das gleiche Motiv zu fotografieren. Eigentlich wollen wir wie immer auf einen Campingplatz in der Stadt, doch den scheint es nicht mehr zu geben. Jedenfalls finden wir ihn nicht. Und auf Mini-Zeltplätze in den Hinterhöfen der zahlreichen Hostels wollen wir unser Auto auch nicht zwängen.
Also stellen wir uns wie alle anderen auch am Ortseingang auf den offiziellen Wohnmobilparkplatz von EL CHALTEN und haben wohl die prächtigste Aussicht auf den Berg, die man hier haben kann. Zelten darf hier keiner. Aber Wohnmobile aller Art, groß und klein, PickUps mit Kofferaufbau und selbst Wohnwagengespanne finden hier ihren erlaubten Platz. In den Büschen steht eine kleine Hütte, ein Plumpsklo, das im inneren nur ein Loch im Boden hat. Ansonsten gibt es auf dem Platz nichts. Dafür kostet er auch nichts. Gar nichts. Gegenüber auf der Straße bei der Nationalparkverwaltung kann man an einem Wasserhahn kostenloses Trinkwasser bekommen. Nur die Geschichte mit dem Müll, die ist leider nicht gelöst. Dafür ist der Platz aber erstaunlich sauber.
Und wie durch ein Wunder treffen wir hier auf einmal auf Deutsche! Direkt vier Autos aus Allemagne, alle auf unterschiedlichen Wegen unterwegs. Die einen kommen, die anderen gehen. Ein Wanderzirkus halt.

Nach Ortserkundung beschließt die kleine Reisegruppe am nächsten Tag eine Wanderung in die Berge zu unternehmen. Viele verschiedene Wege stehen zur Auswahl, der Fahrer, hier in seiner Eigenschaft als Wanderführer, hat größte Mühe den Gipfeldrang seiner Beifahrerin zu bändigen. Tendiert sie doch zu Wegen mit einer einfacher Länge von 10, 12 Kilometern. Der Fahrer jedoch hält für den Anfang satte 3 Kilometer für angemessen. Auf der kleinen schematischen Karte ist jeweils auch ein Schwierigkeitsgrad angegeben. „Mittel“ passt doch auch.
Mit frisch gemachten Butterbroten, Trinkwasser, Rucksack und Fotoapparat geht es gegen 0900 los.
Auf in die Berge!
Nun, der Maßstab der Fremdenverkehrskarte ist bewusst so gewählt, dass auch viel finanzierende Werbung auf das gleiche Blatt Papier passt. Entsprechend schwierig gestaltet sich das Auffinden des Anfangs des Wanderweges. Als die kleine Wandergruppe nach einer Stunde mitten im Berg im Nirgendwo stecken bleibt, wird klar: Das kann hier nur falsch sein! Ein Rückzug auf gleichem Wege wird natürlich vom Führer kategorisch ausgeschlossen.
Ein Seemann schaut nie zurück.
Also, wie löst man dieses Problem?
Ein Handynetz und damit GOOGLE MAPS gibt es hier natürlich auch schon nicht mehr. Aber der Fahrer hat vorgesorgt und die ANDROID APP OSMAND installiert. Samt lokaler OPEN STREETMAP Karten. Und tatsächlich findet sich dort der ursprünglich verfehlte Wanderweg und dank HANDY GPS die eigene Position. Nur wenige hundert Meter stolpert kleine Bergsteigertruppe weiter durch die Botanik und schwups:
Wir sind auf dem richtigen Weg!

Der weibliche Teil der Bergsteigergruppe mault ein wenig über diese offenkundig grobe Ungenauigkeit des Führers. Der selbstbewusste Bergführer gibt schlicht zu bedenken, das dies genau der Unterschied zwischen einem SEHR GUT und einem AUSREICHEND in der Abschlussklausur NAVIGATION an der HOCHSCHULE FÜR NAUTIK zu BREMEN sein müsste. Hätte sie mal bloß auf einen SEHR GUTEN geschielt…
…oder besser doch nicht!
Der Weg ist gefunden, aber dadurch wird die Wanderung nicht einfacher. Es geht steil Bergauf, dann wieder herunter, erneut hinaus, über Wurzeln, Stock und Stein. Möglicherweise sind die angegeben 3 Kilometer reine Luftlinie bei abnehmenden Neumond?
Reichlich erschöpft erreichen wir endlich den ursprünglich angepeilten Aussichtspunkt. Und treffen dort auf eine geführte Tour, deren Mitglieder vor lauter Selfieorgien gar nicht mit bekommen, wo sie eigentlich sind und uns mit ihrem egoistischen Getue vom grandiosen Bergpanorama unnötig ablenken.

Überhaupt:
Beim Aufstieg, aber erst Recht auch später beim Abstieg werden wir von frisch nur so dahin hüpfenden jungen Menschen überholt die lässig grinsend ein „Hi“ in Bergwelt hauchen und so rasch an uns vorbei eilen, als könnte unsere Nähe sie lähmen. Alle natürlich im schicksten Outdoor Outfit, das man sich nur vorstellen kann. Und super sauber. Wie ungebraucht.
Und dazwischen die zwar zweckmäßig, aber irgendwie anders gekleideten schnaufenden alten Leute, die den Schnellläufern nur den Weg versperren.
Nun, der ehemalige Bergführer kriecht vier Stunden nach Aufbruch mehr oder weniger desillusioniert über die eigenen körperlichen Fähigkeiten durch die Straßen von EL CHALTEN um ein sehr dringend benötigtes Betäubungsbier aufzutreiben. Seiner Begleitung geht es offiziell besser, aber der Wunsch nach einer (viel) längeren Tour am nächsten Tage ist schon lange verstummt.
Es dauert lange, bis schließlich das Auto erreicht ist und etwas Leben in die überforderten Körper zurück kehrt. Hilfreich ist dabei die heiße Dusche, die KNAUSi für die kleine Wandergruppe freundlicher Weise bereit hält.
So viel ist klar:
Hier wird nicht weiter gewandert. Und wenn eine Argentinische Wanderkarte den Schwierigkeitsgrad „Moderate“ behauptet, addieren wir mal unsere gemachte Erfahrung hinzu gehen pauschal von „unmöglich“ aus. Reicht doch, wenn wir uns demnächst mit dem Rollator um unser Auto herum eiern?
Oh Mann!
Peter.