SA2223: Nach VALDES

ARGENTINIEN ist ein wirklich großes Land. Man muss, will man es mit dem Auto bereisen, viele Kilometer zurücklegen.

Unser nächstes großes Ziel ist die Halbinsel VALDES, gut 1.500 Straßenkilometer südlich von BUENOS AIRES am Südatlantik gelegen. VALDES ist ein einziger Nationalpark, die Hauptattraktion sind aber wohl die zahlreichen Wale, die hier in der großen Bucht ihre Kinder auf die Welt bringen. Jedenfalls bis in den November hinein. Dann reisen sie ab und es ist Strandleben und Party im südlichen Sommer (Dezember/Januar) auf VALDES angesagt.

Auf dem Weg von Buenos Aires nach Azul

Das ist dann auch der Grund, warum wir die Strecke relativ zügig innerhalb von vier Tagen zurücklegen. Wäre doch doof, wenn wir erst ankommen, wenn die Wale abreisen.

Die gewählten Übernachtungsstationen auf dem Weg nach Süden ergeben sich anhand der Strecke (im Wesentlichen N3) und akzeptablen Tagesdistanzen.

Wir brechen gegen 0900 aus BUENOS AIRES auf in der Hoffnung nicht stundenlang im Verkehr stecken zu bleiben. Das klappt auch wie gewünscht und wir erreichen AZUL am frühen Nachmittag. Der Fahrer ist froh, unbeschadet der MEGACITY entronnen zu sein.
Der Campingplatz von AZUL hat wie die anderen bisher besuchten auch sicher schon bessere Tage gesehen, doch liegt er hübsch an einem fast ausgetrockneten Fluss. Die Trockenheit ist vielleicht auch das gravierendste, was uns südlich der Hauptstadt ins Auge fällt. Kein saftiges Grün mehr, dafür aber Landwirtschaft mit großen Feldern. Die N3 ist sehr stark befahren, dennoch sind die LKW Schlangen hier keine Bedrohung für die der A7 in Deutschland um den Titel der längsten.

Wenn wir Strecke machen wollen geht es am nächsten Morgen so gegen 0800 los. Besser früh´ anfangen und den Nachmittag am neuen Übernachtungsplatz verbringen als den ganzen Tag im Auto zu verdödeln.

Campingplatz von Azul

BAHIA BLANCA hat einen so wunderschön klingenden Namen und ist dann doch nur, jedenfalls da wo wir waren, das vermutlich größte Drecksloch ARGENTININES weit und breit. Die kommunalen Straßen eine einzige Katastrophe, schlimmer als die Pisten in MISSIONES und es scheppert mehrmals bedenklich im Auto. Eigentlich ist der Plan, vom Campingplatz aus zu Fuß in die Stadt zu gehen. Doch bei genauerer Betrachtung sind das One-Way gut 6 Kilometer, die Hälfte durch eine Gegend, durch die man eher nicht zu Fuß gehen will.
Also gehen wir nur entlang der N3 zu einem großen Supermarkt. Müll, Schrott, völlig verlotterte Hunde und Straßenlärm. Also wir zurück sind Freunden wir uns dann doch mit dem Standplatz an. Passiert eigentlich immer: Wenn man ankommt denkt man „oh je“, nach ein paar Stunden entdeckt man das Positive. Ein Fahrradtourist aus der Schweiz kommt noch dazu, nach 100 Kilometern Gegenwind völlig ausgelaugt. Selbst gewähltes Schicksal auf zwei Rädern mit 45 KG Gepäck.

OK, der nächste Platz muss mal endlich wieder ein Highlight werden! Also müssen wir uns vermutlich ein gutes Stück von der N3 entfernen?

Wer hätte das gedacht? Pringels stammen aus Argentinien!

Doch zunächst passieren wir auf der N3 zwei offizielle Bio-Kontrollstellen. Denn kurz nach BAHIA BLANCA sind wir schon in PATAGONIEN und die Region versucht die Fruchtfliege fern zu halten. Kein frisches Obst, Gemüse und Fleisch dürfen eingeführt werden. Haben wir vorher gelesen und uns darangehalten. Beide Kontrollen hätten nichts zu beanstanden gehabt, hätten sie uns durchsucht. Aber wir wurden einfach durchgewunken.

In iOVERLANDER finden wir mit PUNTA MEJILON einen gut gelegenen Ort direkt am Meer in guter Reisedistanz. Doch irgendwie verdaddeln wir tagsüber so viel Zeit, dass der Fahrer mal wieder in Sorge ist. PUNTA MEJILON liegt 40 Kilometer abseits der N3, nur über eine Piste zu erreichen. Wenn die Piste schwer zu fahren ist und/oder der Platz nichts taugt, kommen wir ohne Alternative in die Dunkelheit. Das wollen wir natürlich nicht.

Die Beifahrerin ficht das nicht an. Wird schon alles gut gehen.

Hungrige Hunde in Bahia Blanca

Die Piste ist erstklassig. Kaum Waschbrett, Kiesel, keine Schlaglöcher. Mit 60, 70 KM/h fliegen wir darüber. Nur einmal muss gebremst werden, als das Einzige in Sicht kommende Fahrzeug (ein LKW mit riesigem Wassertank auf dem Fahrgestell) Anstalten macht, vor uns auf die Piste einzubiegen, aber zum Glück dann doch wartet.
Wir kommen in PUNTA MEJILON an und sind sofort begeistert. Was für ein herrlich abgelegener Ort! Nicht mal den Hauch eines Handynetzes. In einem Haus ein Ranger, der uns begrüßt und meint, wir sollten besser nicht weiterfahren, weil wir sonst im Sand stecken bleiben würden.
Aber gleich hinter dem Haus könnten wir uns hinstellen. Machen wir und laufen durch den Sand direkt an den Strand, so lange noch ein wenig Licht an diesem bedeckten Tag ist.

Auf dem Weg nach Punta Mejillon

Der Wasserlaster ist mittlerweile auch hier angekommen, doch der Fahrer steigt lange nicht aus. Komischer Kerl?

Als wir vom Strand zurück kommen ist noch ein Kleinwagen mit einem Paar in unserem Alter gekommen. Standesgemäß haben die beiden als erstes den Grill angezündet, kein Zelt oder ähnliches zu sehen. Mittlerweile tröpfelt es ein wenig, noch nicht wirklich Regen.

Auch wir fangen an zu Kochen.

Kommt der Mann vom Kleinwagen herüber und bringt uns beiden eine Grillwurst in Brot garniert mit köstlichem Dipp. Oh, wie nett! Danke! Wie lecker! Er macht dann noch ein weiteres Brötchen fertig und bringt das dem Mann im Wasserlaster. Und verschnackt sich dort, denn während wir nur ein paar Wortbrocken mit ihm wechseln können, kann er sich mit dem Wasserlaster-Mann offenbar vortrefflich unterhalten.

Die beiden Kleinwagencamper scheinen die zunehmende Menge an Regentropfen nicht zu stören. Alle Autotüren auf, aus den Lautsprechern tönt offenbar lokale Musik, sehr passend hier in der Einsamkeit.
Der Fahrer kurbelt derweil zur Regenabwehr die Markise heraus, schließlich besteht er aus Zucker und könnte sich unversehens ins Nichts auflösen. Der Eingeborene Grillmeister nebenan versucht sein Grillfeuer mit einem im Gebüsch gefundenen Straßenschild vor den Regentropfen zu schützen.

Punta Mejillon

Als wir mit unseren Sachen fertig sind und es nun wirklich anfängt richtig zu regnen, holen wir die beiden zu uns rüber. Anfangs wollen sie nicht, doch der Fahrer besteht darauf. Mal sehen, was kommt.

Sie heißt Liz, er Gustavo. Ein paar Brocken Englisch können beide auch. Und so kommt tatsächlich eine mit Händen und Füßen unterstützte Unterhaltung in Gange. Das kann natürlich auch am universellen Übersetzungsmittel Bier liegen. Einzig Liz bleibt eisern bei ihrem Matetee, der Fahrer wechselt irgendwann auf Rotwein, denn es wird spürbar kälter. Die beiden haben fünf große Kinder und machen ein paar Tage Urlaub. Und ja, sie schlafen allen Ernstes in diesem unsagbar kleinen Kleinwagen. Tja, muss man mögen. Und können wohl auch?

Natürlich kommt die Sprache auch auf Politik, auf Geld und das Leben der einfachen Leute in ARGENTINIEN. Und obwohl wir Gustavo mit Sicherheit oft nicht richtig verstehen spüren wir seine lakonische Verbitterung über die Situation im Land. Alle Politiker seien merkwürdiger Weise Reiche Leute, die sich gegenseitig die Pfründe zuschieben würden. Die Bevölkerung verarme immer weiter. Dabei sei das Land doch reich!
Man habe das ganze eigene Gas ins Ausland verkauft und nun müsse man für viel mehr Geld Gas aus dem Ausland wieder einkaufen. Wie doof sei das denn?

Ach, wie schön. Überall das Gleiche!

Obwohl:
Unsere Politiker sind im internationalen Maßstab wirklich nicht reich. Man stelle sich vor, wenn Herrn Scholz nebenbei auch noch LIDL gehören würde. Das ginge nicht in Deutschland. Und das ist wohl auch gut so. Unbegreiflich, wie Menschen anderswo auf der Welt solche Interessenkonflikte nicht sehen können. Wollen?

Irgendwann muss Gustavo mal das Bier wegbringen. Der Platz hat eine (sehr einfache) Toilette. Auf dem Rückweg macht er noch mal kurz Station beim Wasserlaster-Fahrer und bringt ihn gleich mit. Der sieht im Gesicht aus wie ein 20 Jahre alter junger Mann, ist aber in Wirklichkeit nach mehrfacher Versicherung 40 Jahre alt und heißt auch Gustavo, also hier und jetzt an diesem Abend Gustavo Dos (2). Er stammt von den Ureinwohnern PATAGONIEN´s ab. Seine Gesichtszüge unterscheiden sich deutlich von denen von Liz und Gustavo Uno (1). Viel weicher, geschmeidiger, hübscher.

„Wohnwagen“ in Punta Mejillon

Gustavo Uno gibt zu verstehen, dass er Gustavo Dos ein wenig beneidet. Denn Gustavo Dos habe eine feste, sichere und gut bezahlte Anstellung beim Staat als Mitarbeiter des Nationalparks. Das sei hier so was wie Wiedergutmachung an den Eingeboren für Landraub, Unterdrückung und Mord. Na ja, so ganz erstrebenswert scheint uns der Job als Wasserlastwagenfahrer in einem menschenleeren Naturpark auch nicht zu sein. Wenn Gustavo Dos Feierabend macht, sitzt er völlig alleine in der Wildnis in einer Art Wohnwagen mit sehr, sehr bescheidener Ausstattung.

Als Gustavo Dos kurz aus seinem „Wohnwagen“ eine neue Flasche Bier holt (denn eine weitere von uns will er auf keinen Fall annehmen), fragt Gustavo Uno die Beifahrerin allen Ernstes, ob sie Angst vor Gustovo Dos habe? Er könne ihn auch wegschicken?

Nein, hier hat niemand Angst!

Von uns aus mag es ja sein, dass es statistisch unter den patagonischen Ureinwohnern mehr Kriminelle gibt als beim Rest der Bevölkerung. Aber wenn wir eines auf unseren Reisen gelernt haben: Sei freundlich zu allen Menschen die Du triffst und sie werden freundlich zu dir sein.

Und auch wenn wir Gustavo Dos mit keinem Wort verstehen, er ist ohne Zweifel ein freundlicher Mensch.

Schon verrückt, wie die kolonisierten Länder mit ihren Verbrechen in der Vergangenheit gegen Ureinwohner umgehen. Hier in Argentinien, in Australien, in Neu-Seeland. Irgendwann kommt es dann doch, das schlechte kollektive schlechte Gewissen. In dem einen Land früher, in manch anderem später.

Nationalpark SAN ANTONIO ESTE

Wie immer hätte man sich das letzte Bier sparen können, denn es ist mittlerweile wirklich erbärmlich kalt. Und Stockdunkel, würde da nicht unsere in URUGUAY gekaufte und mit ARGENTINISCHEM Kerosin betriebene Petroleumlampe ihr Licht in der Dunkelheit verbreiten und die Gesichter der fünf eng um den Tisch herumsitzenden Menschen erhellen.

Zuvor, im allerletzten Dämmerlicht kommt tatsächlich ein Fuchs vorbei und sieht nach dem Rechten. Gustavo Uno ist sehr verblüfft, das sei nicht normal! Das dürfe nicht sein! Füchse kämen Menschen niemals nahe. Na ja, vielleicht fühlt er sich ja einsam in der Einsamkeit?

Der nächste Morgen bringt mit blauem Himmel und weißen Wolken eine deutliche Wetterverbesserung und eigentlich könnte man hier noch einen Tag bleiben? Äußert der Fahrer. Die Beifahrerin ist eher fürs Weiterfahren und so verabschieden wir uns von Liz und Gustavo Uno, Gustavo Dos ist schon wieder mit seinem großen Wasserlaster unterwegs.

Viel später an diesem Tag, längst wieder auf der N3 hakt der Fahrer noch mal nach: Wieso sind wir eigentlich weitergefahren? Nun, wie wären denn der Tag und der Abend mit Liz und Gustavo Uno weiter verlaufen, fragt die Beifahrerin zurück. Das wäre für uns zu eng geworden.

Am Ende sind wir doch nur (im Vergleich) reiche Touristen die einfach immer weiterziehen und nichts verändern können. Und das stimmt wohl.

Schnurgerade Straßen in ARGENTINIEN: Die N3

Die letzten gut 400 Kilometer nach VALDES warten schließlich auch noch auf uns. Zuvor noch zu dem grandiosen Naturschutzgebiet von SAN ANTONIO ESTE. Seelöwen und Delphine. Die Straße dorthin führt direkt am Strand vorbei. Zwei Fischereiflotten auf Trailern liegen am Strand. Einen Hafen gibt es weit und breit nicht. Die Trailer mit den Booten werden mit Traktoren ins Wasser geschoben. Vermutlich muss das die Brandung aber erst mal zulassen?
Mitfahren würden wir auf keinem dieser Kähne. Vielleicht sind die auch schon gar nicht mehr in Fahrt? Doch an einem wird tatsächlich gearbeitet.

Das VALDES ein Touristennest ist, war ja klar. Und das hierher auch andere Wohnmobile kommen werden, auch. Leider kommt zeitgleich eine geführte PANAMERICANATOUR mit ungefähr 15 Wohnmobilen aller Art an und der Fahrer fragt sich einmal mehr, was es nur für Menschen gibt?

Er will sich nicht fragen!

Er kämpft.

Er strampelt.

Er will nicht lästern!

Er will wirklich akzeptieren, das jeder machen kann, was er will, solange er niemand anderen damit stört.

Eigentlich.

Peter.

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