2022, ein weiterer Coronawinter und hier eine kleine (technische) Geschichte, die so was von einen Bart zu haben scheint, das sie doch tatsächlich noch in Stein gemeißelt daher kommen könnte.
Alt ist sie aber nicht. Ganz im Gegenteil. Wirklich aktuell, sozusagen live aus einem im trüben Nieselregen vor sich hin stehenden Wintergarten in Elmshorn.

Jahrzehntelang musste der eine Bewohner des Hauses, zu dem der Nieselberegnete Wintergarten gehört, die kleine Plattensammlung aus seiner Jugend gegen alljährliche Wegpack oder gar Vernichtungs-Phantasien der Mitbewohnerin verteidigen.
Dabei gab es anfangs in diesem längstjährig gemeinsamen Haushalt sogar einen DUAL Plattenspieler samt ONKYO Verstärker, mit denen man diese Wunderwerke aus Vinyl fachgerecht abspielen konnte. Doch diese beiden Geräte verschwanden mit zunehmender Digitalisierung aus dem schon immer gemeinsamen Wohnzimmer. Aber die Schallplatten, die blieben! Tapfer verteidigt von dem einen Bewohner. In manchen Jahren wurde dieses geballte Stück konservierter Jugend hinter Schranktüren verborgen, gut zwei Jahrzehnte wurden sie nicht mehr ihrem eigentlichen Zweck zugeführt.

Auf der Suche nach einem sinnvollen Projekt für die graue Winterzeit fielen Ende 2021 dem einen Bewohner doch glatt die schon seit einiger Zeit wieder jederzeit sichtbaren Schallplatten ins Auge.
Also eigentlich…
…mann müsste, mann könnte, MANN SOLLTE!
Doch wie immer bei Vorhaben mit einem gewissen archäologischen Charakter: Mann (immer noch zwei „nn“) muss erst mal Geld ausgeben! Einen wie auch immer gearteten Plattenspieler gibt es schon lange nicht mehr im Haus. Auch nicht auf dem ansonsten alles speichernden Dachboden.
Erster Versuch: eBAY
Einfach mal geschwind zur elektrischen Bucht gepilgert und dort nach einem schön aussehenden Schallplattenspieler gesucht. „Schön aussehen“ war unter Berücksichtigung des WAF („Women Acceptance Factor“) oberstes Kriterium. OK, einen USB Anschluss sollte das Teil natürlich auch haben. Nur so kann man auf direktem Wege die schönen analogen Klänge in den digitalen PC bekommen.
Was „schönes“ gesehen, gekauft, bezahlt, geliefert, ausgepackt, kaputt. Die verkaufende Dame hatte leider den Plattenteller nicht fixiert und dieser zertrümmerte auf dem DHL Transportwege mal eben den Tonarm und die Staubschutzhaube. Zum Glück keine große Diskussion, einmal Portokosten versenkt und das war es dann mit dem ersten Versuch.

Dabei stellten sich aber drei wichtige Fragen:
1) Kann bei einem solch wichtigen Vorhaben der WAF wirklich das bestimmende Kriterium sein?
2) Will man eigentlich wirklich so einen einfachen Riemenantrieb aus labbeligen (und älter werdendem) Gummi?
3) Ist ein gebrauchtes Gerät, das wohl immer irgendwelche Macken hat, die richtige Lösung?
Und es kam, wie hatte kommen müssen: Eine elendig lange Recherche über (mal wieder) „das richtige Gerät“.
Wie findet man in diesem Zeiten des absoluten Überflusses den „richtigen Plattenspieler“?

Nun, sicher nicht in dem man die einschlägigen Foren liest.
Die einen propagieren Geräte mit vier- oder gar fünfstelligen Eurobeträgen auf den Preisschildern (…und übersehen vermutlich, das echte Musikliebhaber jenseits der 50 ihre Gehör schon mit 25 ruiniert haben), die anderen faseln so pseudoakademisch von Abnehmersystemen und Nadelschliff, da weiß man wirklich nicht, was man davon halten soll.
Einfach mal ein vernünftiger Plattenspieler, bitteschön. Keine Mondrakete. Keine Weltanschauung. Keine heilige Kuh, schon gar kein goldenes Kalb.

Immerhin bekommt man durch das viele Lesen den Eindruck, das fast alle Abnehmersysteme (also das Teil, das die Ton abnehmende Nadel berherbergt) von der (japanischen) Firma „audio-technica“ stammen. Diese winzigen Teile alleine kosten zwischen 50 und 5.000 Euro. Tolle Wurst. Für diesen Preis hängt dann aber selbstverständlich noch kein Plattenspieler am Abnehmersystem.
Zweiter Versuch: „audio-technica“
Wenn also „audio-technica“ sowieso in fast jedem Plattenspieler vorkommt und die neben einem breiten Spektrum an Abnehmersystemen auch noch selbst Plattenspieler bauen und anbieten, warum dann nicht einfach ein Gerät von diesem Experten auf der fernen Insel kaufen?
Und weil die selbst offenbar auch nicht wissen, ob Direktantrieb oder Riemenantrieb besser ist, oder weil sie schlicht keine Lust auf Kundendiskussionen haben, bieten sie einfach immer beide Varianten an. Pragmatisch clever verkaufend.
Und so entschied sich der eine Bewohner, der eigentlich nur seinen alten Schallplatten im Nieselberegneten Wintergarten neues Leben einhauchen wollte, für einen „audio-technica AT-LP5X„. Direktantrieb, externes Netzteil, schweres Gehäuse (über 7 kg), USB mit 16 Bit/48 kHz und einem eher einfachen Abnehmersystem („AT-VM95E„). Nach dem Motto: Wenn einen mal der Alterswahnsinn reitet, könnte man ja immer noch in ein teureres (…und vielleicht auch besseres) Abnehmersystem investieren? Zum Beispiel wenn zukünftige Hörgeräte in den tauben Ohren dies erforderlich machen sollten?
Nun, der neue Plattenspieler ist technisch eine Wucht! Tolles Teil, toller Klang (direkt traditionell über Phono OUT/IN) am YAMAHA A-S700, tolle Haptik beim Auflegen der kostbaren schwarzen Scheiben. Jedesmal ein Genuss. Metall macht halt doch einen Unterschied: Tonarmlift, Abnehmersystem und der Wahlschalter für die Geschwindigkeit aus mattschwarz lackiertem Metall.

Doch wo so viel Licht ist, muss es ja auch Schatten geben. Na ja, ein oder zwei Schättchen vielleicht?
Also das mit dem WAF haut leider echt nicht hin. Das Teil gibt es nur in schwarz. Und groß & klobig ist er in Natura auch. Na ja, so könnte man denken, passt der Plattenspieler wenigstens zu dem einen Bewohner. Also den mit den Schallplatten.
Kabeltechnisch kann man den Plattenspieler zwar parallel per USB mit dem Computer verbinden und per Chinch (Rechts, Links, Masse) mit dem Verstärker. Doch über einen kleinen, hinten, verdeckt verbauten Schalter muss man den Ausgang wählen. Es funktioniert also nur entweder USB oder Chinch.
Und das wiederum führt nun zu der doch leicht absurden Situation, das man beim digitalisieren das Eingangssignal über USB vom Plattenspieler auf den PC bezieht und dieser während der „Aufnahme“ das Ausgangssignal (in diesem Fall) per BLUETOOTH auf den direkt neben dem Plattenspieler stehenden Verstärker zurück funkt. Schon klar, nur eine weitere Randnotiz aus dem realen Leben des täglichen digitalen Irrsinns.
Die kostenlose Software AUDACITY eignet sich schon seit Jahrzehnten perfekt für alle Zwecke der Tonbearbeitung am PC. So auch für die Aufnahme von Schallplatten. Allerdings wurden die Rechte an der Lösung jüngst verkauft und es steht zu befürchten, das die Freeware-Zeiten bald vorbei sein werden. Irgendwie logisch: Selbst die ambitioniertesten Softwareentwickler wollen (müssen!) irgendwann mal Geld verdienen. Spätestens immer dann, wenn sie merken, das es noch eine Reale Welt gibt, mit Lebenspartnern, Kindern und vielen schönen Erlebnissen, die kein Computer, keine Software der Welt bieten kann.

Und so wird in Elmshorn seit Wochen digitalisiert was das Zeug hält. Da der ganze Vorgang ja in Echtzeit abläuft, braucht man noch eine gute Beschäftigung, wenn die Musik gerade läuft. Blog schreiben, zum Beispiel!
Denkt nun etwa wer, wie bescheuert sei das denn?
Der eine Bewohner hätte doch wohl einfach seine Schallplatten nochmal auf CD´s kaufen können, oder, noch moderner, das für den neuen Plattenspieler gesparte Geld in ein Spotify Abo stecken können?
Also mal im Ernst:
Wer sich bei einem so emotionalen Thema solch rationale Fragen stellt, der hat wirklich gar nichts verstanden. Oder schlicht kein Herz?
Nun, eine Sache muss abschließend noch erwähnt werden:

Also diese Schallplatten die den einen Bewohner sein Leben lang begleiten, die haben unzweifelhaft für ihn einen nicht bezifferbaren ideellen Wert. Für diesen einen Bewohner. Doch draußen, in der weiten Welt des Handels, da haben einige dieser Schallplatten, betone einige, bei weitem nicht alle, darüber hinaus noch einen sehr konkret bezifferbaren Marktwert. Eher durch Zufall prüfte der eine Bewohner mal die Verfügbarkeit einiger seiner Schallplatten in der elektronischen Bucht. Und stellte recht erstaunt fest, das die Maxi-Single „Das Model“ von „Kraftwerk“ in rotem Vinyl mal eben für 100 € angeboten wird. Oder die einzige Platte von „Wolfgang Riechmann“ („Wunderbar“) in ganz ordinärem schwarzen Vinyl für knapp 30 €. Donnerknittel!

Und spätestens an diesem Punkt der Geschichte sah die eine Mitbewohnerin schließlich freiwillig ein, das diese Schallplatten nicht nur einfach Platz im Wohnzimmer verbrauchen, nein, einige davon werden nur durch herum stehen auch wertvoller. Reifen, ganz so wie guter Wein, so zu sagen.
Nun, und das kann man durchaus bedauern: Wie allseits bekannt wird Wein in diesem Haushalt leider nie alt.
Keine Chance.
Also jedenfalls nicht so lange der eine Bewohner mit den alten Schallplatten hier noch herum lungert.
Peter.
Da fragt sich doch: Warum überhaupt digitalisieren? Ist es für den Hüter leicht knisternder Schätze denn eigentlich nicht ein die Geister verflogener Jugendjahre wiedererweckender Moment, wenn die Plattenhülle herausgesucht und erinnerungsschwer studiert wird, das Venyl vorsichtig -wie lange ist das letzte mal her- an das Abendlicht gezogen- und behutsam auf den Plattenteller wie auf einem Altar gelegt wird um mit dem Aufsetzen des Tonarms eine Andacht unvergleichlicher Intesität zu zelebrieren. Kann das eine schnöde DVD oder gar eine „playlist“ dieses Erleben ersetzen? Wohl schwerlich.