Tag 57-59, Samsö

Gut 60 Seemeilen nach Südwest, nach Samsö.

Früher Vogel fängt den Wurm, früher Segler fängt den Wind.

Unter Vollzeug über die Untiefen, am Windpark von Grena vorbei, doch Geschwindigkeit schreibt man anders. Wer 60 Seemeilen abspulen will, muss Geschwindigkeit machen. Erst Recht, wenn die Wettervorhersage für den späteren Nachmittag von einem Flautenloch um Samsö spricht.

Also beschäftigt sich der Skipper mehr als üblich mit dem Segeltrim und leichten Kursänderungen bis er irgendwann zufrieden ist. Die Mannschaft macht derweil Frühstück und als auch das erledigt ist, widmen wir uns unserer neuesten Beschäftigung auf See:

PODCAST hören!

Ganz was modernes. Man nehme:

1) Ein Mobiltelefon
2) Einen Bluetooth Lautsprecher mit dickem Akku
3) Die App „ARD Audiothek
4) Eine Internetverbindung (an Land, im Hafen)
5) Man lade **VOR** Auslaufen ein paar, oder ein paar mehr Podcasts herunter. Als da wären: ARD Radiotatort, Fernseh-Krimis, Fernseh-Talkshows oder, absoluter Favorit in diesen Tagen: „Wischmeyers Stundenhotel“ (mehr dazu gleich…)

Und wenn dann die Zeit ist, schmeißt man das Teil an und lauscht, geht Ausguck und trimmt mal nach, wenn einem danach ist.

Wischmeyers Stundenhotel wird vom Radiosender Bremen 2 produziert. Gehobener Nonsens mit manchmal denkwürdigen Gedanken, vorgetragen von Tina Voß und Dietmar Wischmeyer. Letzteren kennt man aus der heute-show, schließlich ist er der Kumpel von Oliver Welke aus den längst vergangenen Tagen des legendären ffn Frühstyxradios Ende des letzten Jahrtausends.

Nun, jeden Monat eine Folge, eine gute Stunde lang. Wenn man den Podcast für sich neu entdeckt, hat man gut zu tun, sich alle Folgen anzuhören.

Wir nähern uns Samsö, der Wind frischt auf und wir rasen geradezu auf das enge Fahrwasser der Nordansteuerung von Samsö zu. Der Gedanke ans Reffen kommt auf, aber es läuft doch gerade so gut! Von wegen Flautenloch! Kommt wohl erst später am Tag?

Und dann wird es wirklich spuuky:

Erst, unmittelbar vor der Enge von Vejrö und Nordby ist der Wind innerhalb von jetzt auf gleich vollkommen weg. Einfach weg. Unheimlich! Eben noch über 7 Knoten Fahrt, jetzt flattern die Segel.

Das ist aber nicht nur unheimlich, sondern auch doof. Schließlich müssen wir hier recht genau auf Kurs bleiben. Also kurzer Streßeinsatz: Maschine an, Vorsegel weg, Groß fest setzten und mal weiter auf der Kurslinie tuckern. Vielleicht kommt der Wind ja gleich wieder? Tür auf und Tür zu?

Nun, er kommt nicht wieder, doch mit einem mal machen wir „boiling water“, kochendes Wasser, voraus aus. Untrügliches Zeichen von massiver Strömung. Die Meerenge ist hier keine Seemeile lang, doch irgendwie will das Wasser nach Norden, wir nach Süden und selbst mit erhöhter Drehzahl kommen wir zunächst nicht über 4 Knoten, noch mehr Drehzahl bringt dann die 5 vor dem Komma. Mehr wollen wir in dieser Situation nicht.

Und dann, fast unmerklich, ist die Strömung weg, spiegelglatte See und, natürlich, immer noch kein Wind. Da ist es also wirklich, das angesagte Flautenloch von Samsö! Auch egal, in gut 4 Seemeilen liegt der Hafen von Ballen. Also packen wir schon mal in Ruhe das Groß weg, bringen Fender und Festmacherleinen aus und haben beim Einlaufen in den Hafen auch keine Lust mehr. 60 Seemeilen sind halt 60 Seemeilen.

Um die Uhrzeit ist der Hafen natürlich voll, der Skipper entschiedet sich für eine einsame Mooringboje und geht wieder mit dem Heck an die Pier. Komisch. Wieso liegt hier keiner? Die vielen Längsseitslieger  in Ballen haben längst Päckchen gebildet und hier sind noch vier, fünf gute Plätze frei. Natürlich klappt das Manöver bei der Windstille auf Anhieb. Kaum sind wir fest, entdeckt der Skipper in der Holzpier eine eingelassene LED-Tafel. Die leuchtet Rot. Also im Schatten des Stormvogels leuchtet sie rot. Die Sonne steht tief im Westen und die LED´s sind natürlich völlig machtlos gegen die Sonnenstrahlen, die bei Auftreffen auf die LED´s trotz schlapper 150 Millionen zurückgelegter Kilometer einfach heller sind. 

Nun, üblicherweise ist die Farbe Rot auf einem Liegeplatz keine gute Farbe. Keine oder Grün wäre besser. Aber Rot? Das erklärt erst mal, wieso hier keiner liegt. Ob der erhöhten Pier klettert der Skipper wie ein Bergsteiger an Land und will den Hafenmeister suchen. Doch weit muss er nicht pilgern, denn er fragt den Skipper eines längsseits liegenden Motorbootes und der hat die Telefonnummer des Hafenmeisters.

Der Anruf ergibt, das wir das, wo wir jetzt liegen, nicht liegen sollten. Denn das sind Plätze, die man über das Internet im voraus buchen kann. Die ultimative digitalisierung des Yachthafens!

Mit anderen Worten: In Ballen auf Samsö kann man jetzt für seinen Dampfer vorab virtuell ein Handtuch auslegen lassen.

Wir sollen beim Boot warten, er kommt gleich mal vorbei…tut er auch tatsächlich und meint, wir können bleiben. Doch wenn jemand in der Nacht den Platz buche, müssen wir da Morgen weg.

In Ermangelung von Wind wissen wir, das wir am Folgetag nicht weiter gehen werden und so beschließt, viel später am Abend, nach dem obligatorischen Bade im Meere, nach Einkaufen, Duschen und Abendessen, der Skipper sich dieses famose Liegeplatz-Buchungssystem mal genauer anzusehen.

In der Zwischenzeit liegt im übrigen eine Rennziege aus Hetlingen direkt neben uns und daneben ein prominenter Großdampfer aus Bremen. Alle auf Rot.

Das Liegeplatz-Buchungssystem ist ein einziges IT Desaster! Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet, wer auch immer seine Finger (Hirn war wohl nicht dabei) bei der Entwicklung beteiligte, wer auch nur in der Nähe bei der Entstehung dieser „Lösung“ war, dem gehört die Tastatur für immer weg genommen!

Geht schon los mit dem famosen Namen:

www.cpay.dk

CPAY – C hört sich in Englisch wohl so ähnlich an wie Sea, Seapay, ach wie toll.

Nun gut. Das ist noch Geschmackssache.

Ein paar dänische Häfen machen da mit. So auch Ballen. Man bucht darüber nicht einen speziellen Platz, sondern nur „einen Platz“. Dafür werden im Hafen einfach mal 10 Plätze blockiert, also elektrisch auf Rot gesetzt und wenn dann einer bucht, wird über die immer noch rote LED Tafel der Bootsname eingeblendet. Wenn man also ankommt, muss man erst mal suchen fahren, und wenn die Sonne tief steht, auch für Schatten vor der Tafel sorgen. Und wenn keiner gebucht hat, bleiben die Plätze eben auf rot. Und leer.

Der Buchungsprozess ist, na ja, OK. Doch im Laufe der einzelnen Schritte bekommt man 4 (VIER!) Codes, die alle wichtig seien. Ein PIN Code, einen Zugangscode für die Dusche, eine Kunden und eine Rechnungsnummer. Per Kreditkarte zu bezahlen.

Und nun kommt die nächste Hürde bei der Verknüpfung der virtuellen mit der realen Welt: Irgendwie muss ja nun an den Dampfer ein Aufkleber als Bestätigung dafür, das bezahlt wurde. Sonst weckt einen womöglich noch der Hafenmeister, denn der ist noch analog und weiß bei seiner Stegkontrolle leider nicht, wer online gebucht und bezahlt hat. Also **GENAU** nach Anweisung den PIN am Hafenautomaten eingegeben, doch die doofe Blechkiste meint, sie kenne die Nummer nicht. Tagsüber ist kein Hafenmeister zu sehen. Irgendwann probiert der Skipper einfach alle Nummern durch und siehe da, nicht der verlangte PIN Code ist der, der zum ersehnten Aufkleber führt, sondern die Ziffernfolge, die für die Dusche zuständig ist. OK, da hat der, der die Anleitung geschrieben hat, wohl gepennt und den Prozess nicht wirklich durchprobiert. Klassiker.

Jetzt müsste ich noch schreiben, wie man Strom über dieses System bucht. Denn die Steckdosen sind individualisiert und ebenfalls online zu buchen. Oder am Hafenautomaten. Aber nur da (am Hafenautomaten) kann man die Steckdose einigermaßen vernünftig auswählen…wenn man sich vorher gemerkt hat, welche frei ist.

Was für ein Scheiß!

Wenn man so eingestimmt nach einem langen Seetag sich zur Ruhe begibt, kann der nächste Morgen ja auch nicht besser werden.

Der Morgen beginnt um 06.00 Uhr. Mit einem unglaublichen Getöse und mit noch viel mehr laut ausgesprochenen, ganz offenkundig überflüssigen Sätzen eines mitteilungsbedürftigen Skippers einer Rennziege aus Hetlingen. Die legt im Morgengrauen neben uns ab. Klar, wenn so eine tolle Regattamannschaft bei Windstille am frühen Morgen ablegt, müssen alle Besatzungen der umliegenden Boote auch wach werden, um Respekt zu zollen. Schon klar. Was für ein Selbstbewusstsein. Was für eine Überheblichkeit. Was für ein unsympathisches auftreten!

Schade nur, das der Regen erst eine Stunde später einsetzt.

Aber wenn man denkt, jetzt sind sie weg, dann liegt man falsch. Denn an „unserer“ Mooringboje war nicht nur die Rennziege aus Hetlingen fest, sondern auch noch der prominente 18 Meter Dampfer aus Bremen. Auch nur so eine verkappte Kojencharterkiste mit Gastskipper. Der hat sich gleich an zwei Mooringbojen fest gemacht und mit seinen Vorleinen die anderen Boote quasi gefesselt. Wenn man raus will, muss man erst mal die Leine des Bremer Dampfers weg nehmen…und wieder an die Boje bekommen.

OK, ich gebe zu, dieser Krampf mit insbesondere deutschen „Großyachtseglern“ geht mir vielleicht mehr als nötig auf den Keks. Doch wie um das ganze noch zu toppen, feiern in der nächsten Nacht drei tolle dänische Kerle eine riesige lautstarke Orgie auf „ihrer“ 54er HANSE. Mit völlig überdrehten Inseldamen, die sie offenbar irgendwo aufgerissen haben. Gegen drei Uhr siegt endlich (!) der Alkohol und Stille macht sich breit.

Um 6:00 Uhr legen wir in aller Ruhe ab.

Peter.

P.S.: Das Problem mit einem 48 Fuß Eignerdampfer in der Südwestlichen Ostsee ist doch, das man alleine ist. Boote in ähnlicher Größe sind zu 90% Charterdampfer mit (vielleicht) einem wissenden Skipper und einer Reihe von Landratten. Und die wollen in der einen Woche, die sie sich den Dampfer leisten können, maximalen „Spaß“. Kann man nachvollziehen, muss man aber wohl nicht gut finden.
Mit einem kleineren Boot läge man wohl eher da, wo gleichgesinnte sind.

P.S.2: Mehr Bilder gibt es tatsächlich nicht. Wir haben zwar am freien Tag eine Fahrradtour gemacht, doch die fand während einem ausgeprägten Landregen statt und der Skipper fand kein lohnenswertes Motiv. Die Mannschaft hingegen fand einen Laden auf dem Lande (…nachdem der Skipper mühevoll den Ort gefunden hat. Ohne Plotter!) mit wunderschönen Anziehsachen. Sagte die Mannschaft und ruinierte die nicht vorhandene Bordkasse.

P.S.3: Und vor lauter Mecker fast das wirklich schöne vergessen: An beiden Abenden, in der Abendsonne, tummeln sich 5, 10, 15 jugendliche am Hafen und springen voller Herzenslust ins Hafenbecken. In der Gruppe auf Kommando, einzeln mit Salto und so lange des der Hafenmeister nicht mit bekommt, auch von wackelig aufgetürmten Sitzbänken. Arschbombe bevorzugt. Begeistert schauen wir den jungen Menschen zu, Lebensfreude pur. Erst beim zweiten Hinsehen fällt ein lachendes Mädchen in Burkini auf das genau wie alle anderen lacht, johlt und springt. Und als ihr Bruder Abdul uns kurz auf deutsch anspricht nur um direkt neben uns vom Festmachpoller sich wieder ins Hafenbecken zu stürzen, wird uns mal wieder klar, wie einfach die Welt sein könnte. Und wie einfach sie hier & jetzt gerade ist. Jedenfalls für diese Horde jungendlicher Wasserspringer! Und uns Zuschauer.



Ein Kommentar

  1. Hallo Peter,
    wir waren auch in Dänemark unterwegs. Deinen Frust mit den dänischen Häfen hatten wir nicht (53 Fuss). Wir haben zu 100% geankert und nicht einen Hafen angelaufen.
    Liebe Grüße von der INFINITY
    Martin

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