Der weltberühmte GÖTAKANAL!
Je näher wir unserem Startpunkt in MEM kommen, um so deutlicher werden die Warnungen der Einheimischen: „They call him the divorse channel!“
Zu Deutsch: „Sie nennen ihn den Scheidungskanal!“

Na, das wollen wir doch mal sehen. Ob 32 Ehejahre, jede Menge Kinder, ein paar Enkel und 25.000 gemeinsame Seemeilen in 4 Jahren durch einen uralten Kanal quer durch SCHWEDEN in Gefahr gebracht werden können?
Erst mal mit Halbwissen aufräumen: „DER GÖTAKANAL“ ist eugentlich nur einer von vier Abschnitten auf der Bootsreise mit stehendem Mast im Binnenland von SCHWEDEN. Dann kommt noch eine Passage über den riesigen See VÄNERN, der TROLLHÄTTAKANAL und schließlich der Fluß GÖTA ÄLV
Bereist man die ganze Strecke, führt sie von OST-SCHWEDEN (MEM, nähe STOCKHOLM) bis ganz nach WEST-SCHWEDEN (GÖTEBORG) oder eben umgekehrt.

Unser erster Abschnitt auf dem eigentlichen GÖTAKANAL führte uns in fünf Tagen von MEM nach SJÖTROP am See VÄNERN:
Tag 1: MEM – BERG
Tag 2: BERG – BORENSHULT
Tag 3: BORENSHULT – FORSVIK
Tag 4: FORSVIK – TÖREBODA
Tag 5: TÖREBODA – SJÖTORP
Eigentlich kann man alle Kanaldetails wie immer super bei WIKIPEDIA oder der Kanalseite nachlesen, aber 58 Schleusen, 50 Brücken, 5 Seen und 2 Aquadukte in 5 Tagen, das ist doch schon mal ein Klopfer, oder? Na ja, oder diese offensichtlich geballte Manöverhäufigkeit bietet eben Anlass für Streß. Viel Streß. Denn alleine die 58 Schleusenmanöver bedeuten ja: 58 mal anlegen, 58 mal ablegen.


Weil wir außerhalb der schwedischen Hauptsaison reisen, müssen wir die Passage im voraus buchen und in einem Konvoi antreten. Fünf Tage sind dafür vorgesehen, wer will, kann diesen Abschnitt auch in drei Tagen abreißen. Oder halt endlos im Hochsommer. Da kann man so langsam oder schnell durch den Kanal brettern wie man will – allerdings dann völlig unorganisiert. Gerüchten zufolge kommt es in dieser Zeit regelmäßig zu Tumulten vor und in den Schleusen, weil irgendwelche Schlauköpfe sich vordrängeln. Wie unsportlich!
In der so genannten Bestellsaison fährt immer die gleiche Gruppe zusammen, da sieht man sich täglich wieder und lernt schnell, sich zu benehmen. Jedes Boot hat tagsüber in den Schleusen die gleiche Position. STORMVOGEL: Immer als zweiter Backbord hinten. Im Einzelfall kann man die Passage aber wohl verlängern und vor den Startpunkten der Tagesetappen aussetzten, bis der nächste Konvoi vorbei kommt – aber das muss man mit der Kanalgesellschaft vorher absprechen.

Nun denn, wir kommen also ganz entspannt Samstags in MEM an, gehen an die Kaimauer vor der ersten Schleuse und machen fest. Montag soll es los gehen – die Manschaft hatte in der Nacht zuvor tatsächlich einen Albtraum wegen der vielen vor uns liegenden Schleusen!
Kommt ein Niederländer vorbei und meint: Nein, nein, Montag geht es nicht los! Erst Mittwoch ginge es weiter. Das hätte er aus erster Hand von der Kanalgesellschaft. Ja, ja, so entstehen Steggerüchte: Er hatte keine Ahnung, das nun Bestellsaison ist und der nächste mögliche Slot für ihn als Nachzügler war eben erst Mittwoch.
Am Nachmittag mit dem Leihfahrrad von MEM nach SÖDERKÖPING. Der Skipper hat alle verfügbaren Karten, inklusive GOOGLE MAPS, studiert und beharrt schon bei Abfahrt in MEM auf seiner Meinung, das es keinen direkten Weg nach SÖDERKÖPING am Kanal gebe. Man müsse über die Straßen ca. 12 Kilometer in Kauf nehmen – one way. Auf dieser Meinung beharrte er auch weiterhin sehr hartnäckig, als ihn die Manschaft in MEM auf einen altmodischen Richtungspfeiler hinwies, auf dem „MEM 6 km“ stand. Die 12 Kilometer auf der Straße zurück waren mal wieder länger als auf dem Hinweg. Ob das wohl mit der asymetrischen Erdkrümmung, der Kontinentalplattenausdehnung oder den Kondensstreifen am Himmel zu tun hat?

Sonntags besteht die Manschaft auf einem Fußmarsch am Kanal entlang. Denn eben diese Manschaft hat in MEM ein weiteres Hinweisschild gefunden: „SÖDERKÖPING 6 km“ ist darauf zu lesen. Das kann ja gar nicht sein! Kein Weg in den Karten = Kein Weg in der Wirklichkeit. Die Manschaft wird schon sehen: Der Weg am Kanal entlang wird irdendwo im Niergendwo enden. Oder im Kanal versinken. Gehen wir doch einfach mal los…
…und kommen eine knappe Stunde später in SÖDERKÖPING an. Welch Schmach! Hat die Manschaft, sich allgemein in Fragen der Navigation vornehm zurückhaltend, doch gnadenlos über den sonst so erhabenen Skipper triumphiert. Noch Tage später bekommt er die 2 mal 12 Kilometer auf den nun nur noch „Highway to Hell“ genannten Straßen rund um MEM und SÖDERKÖPING aufs Brot geschmiert. Ist schon sagenhaft, wie die Eingeborenen auf dem Land über die Straßen brettern.
Doch auch die Manschaft wird wieder ruhiger. Montag, 9:00 Uhr steht die erste Schleusung an. Auf Hinweistafeln am Kanal wird auch in Deutsch erklärt, wie das geht. Mit den Leinen und so. Unser Konvoi besteht aus einem weiteren Deutschen Boot, einem Polen und, so denken wir, aus einem Eingeborenen. Führt das Boot doch eine schwedische Flagge am Heck. Ein paar Tage später lernen wir, das Skipper (Schwede) und Manschaft (Finnin) in Finnland leben und nur den Sommer auf dem Boot in Schweden verbringen.

Eben dieser Schwede, der eigentlich in Finnland lebt, erklärt dem Skipper des STORMVOGELS ein völlig anderes Leinenmanöver als jenes, das auf den Tafeln steht. Na, der hat gut Reden. Wir halten uns an die offiziellen Vorgaben! Natürlich. Wir sind Deutsch!
Jedenfalls für die ersten vier Schleusen. Dann stellt der Skipper in Windeseile auf das Schwedisch/Finnische Verfahren um und es läuft viel besser als vorher.

Der Autor dieser Zeilen grübelt nun kurz darüber, ob er die unterschiedlichen Verfahren des Festmachens in den Schleusen hier zum Besten geben sollte und kommt zu dem Schluß: Nein, ist wohl nicht vom allgemeinen Interesse und aus Gründen des Datenschutzes kann wohl auch darauf verzichtet werden. Datenschutz ist ja heute sowieso alles.

Die Manöver in den Scheusen sind durchaus aufregend. Hier lernt man zentimetergnau mit seinem Boot umzugehen. Nicht zu früh´ an die Schleusenmauer, das vorbeischabende Fenderbrett wird womöglich hoch gedrückt und vertüddelt sich im Seezaun. Nicht zu abrupt aufstoppen, dann zieht es den Bug magisch an das an Steuerbord voraus liegene Heck des anderen Bootes. Nicht zu schnell einfahren, denn sont bleibt keine Zeit vom langsam dahin treibenden Boot die Leinen nach oben zu schmeißen. Dem Deutschen Hektiker kommt zupass, das das eingeborene Schleusenpersonal völlig entspannt und ohne jeden Zeitdruck seine Arbeit verrichtet. Es sind junge Studenten die diesen Job verrichten um etwas Geld zu verdienen. In der Bestellsaison fahren sie mit dem Auto von Schleuse zu Schleuse und so lernt man sich im Laufe des Tages kennen. Aber es bleibt bei Tagesbekanntschaften, denn täglich wechselt die Schleusenvcrew. Macht aber nix: Exzellent ausgewählte Mitarbeiter hat die Kanalgesellschaft da am Start!

Im Wesentlichen hat der STORMVOGEL diese ganze wilde Schleuserei ohne Schäden überstanden. Nur in einer Schleuse hat er sich an der Backbordseite, nahe dem Wasserpass ein paar Kratzer in dem schönen blauen Lack zugezogen – der Skipper spricht die Manschaft und sich selbst von jedem Versagen unverzüglich frei: Die Kaimauer ist so unglaublich niedrig, das kein Fender der Welt die Kratzer hätte verhindern können. Und überhaupt: Der Skipper ist sehr froh´ das es bei der ganzen Turnerei in und an den Schleusen keinen Personenschaden gegeben hat.

„Jeder Seemann ein Artist. Zwei sind schon ein ganzer Zirkus“.
Nun, diese körperliche, teilweise artistische Darbietung vom Manschaft und Skipper sollen im folgenden erläutert werden:
Die ersten der keine Ahnung wie vielen Schleusen (nur so viel: Verdammt viel!) gehen alle bergauf. Jede so ungefährt drei Meter. Das bedeutet, das man in eine leere Schleusenkammer einfährt und die Wände der Schleusen viel zu hoch sind, als das die Manschaft nach oben springen könnte, um die Leinen fest zu machen. Poller in den Wänden gibt es nicht. Leitern gibt es auch nicht. Die waren damals, als der Kanal gebaut wurde, wohl noch gar nicht erfunden. Oder so ähnlich.
Daher gibt es vor den Schleusen Mini-Stege, an der man die Manschaft in eleganter Vorbeifahrt absetzten kann. Diese begibt sich dann schleunigst, oft im Laufschritt, zur Schleusenkammer. Der Skipper, erstmals, aber dann wiederholt, alleine auf dem in Fahrt befindlichen STORMVOGEL, steuert mit größter Konzentration den Dampfer in die Kammer, bringt das Boot nahezu zum stehen und schmeißt zunächst, und das ist wichtig, die Achterleine in die Luft. Die Manschaft hat diese zu fangen und das vorher mittels Palstek präparierte Auge auf einem Eisenring zu legen, woraufhin der Skipper die Achterleine sehr kurz an der Heckklampe seines Dampfers fest macht – und nicht wieder löst, bis es weiter geht. Dadurch wird die Voraussfahrt endgültig gestoppt.
Als nächstes sprintet der Skipper über Deck nach vorne und schmeißt die Vorleine in die Höhe, die die Manschaft möglichst weit vorne in der Kammer auf einen anderen Eisenring legt. Nun ist die Manschaft mit ihrem Job durch und kann sich zur Ruhe setzten. Der Skipper hingegen muss kurz unter Deck, denn die schwedischen Sicherheitsvorschriften verlangen, das der Motor währends des Schleusens abestellt wird. Und die Maschine wird beim STORMVOGEL nun mal im Deckshaus gestartet oder abgeschaltet.
Dann wieder an Deck gehastet und die Vorleine, die an Bord elegant durch die Vorschiffsklampe und eine Umlenkrolle auf eine Winsch nach achtern zum Cockpit geführt wurde, permanent während des Schleusens stramm durchgesetzt halten. Konzentriert, manchmal von der entspannt an Land herumflegelnden Manschaft höflich aber bestimmt erinnert. Denn, und das ist wirklich gemein: Die Kammern werden durch die vorderen Tore geflutet und die erzeugte Strömung ist schon sehr beachtlich.
Je nach dem, wie viele Schleusenkammern aufeinander folgen, klettert die Manschaft wieder an Bord (denn das Boot ragt jetzt gut 1,5 Meter über die Schleusenmauer hinaus) oder sie geht lässigen Fußes nach dem Losschmeißen zur nächsten Schleusenkammer. Diese aufeinanderfolgenden Schleusentreppen bedeuten höchste körperliche Anstrengung. Für den Skipper. Natürlich. Denn kurz vor dem Losschmeißen muss der wieder ins Deckshaus jumpen, die Maschine starten und dann in Slow-Motion in die nächste Kammer tuckern…und alles geht wieder von vorne los. Wir haben es ja so gewollt.

Oh, verdammt. Jetzt habe ich unser neu erworbenes Fach-Know-How ja doch auf den Markt getragen!
Konzentration ist alles! Eine Sekunde entscheidet über Sieg oder Niederlage. Wie immer auf einem Boot.

Egal ob Einzelschleuse oder Schleusentreppe: Es folgt Kanalfahrt oder ein See, der überquert werden will. Oder eine Brücke, die geöffnet werden muss. Das macht auch das Schleusenpersonal. Entweder vor Ort oder per Fernsteuerung und Videokamera. Das ist prickelnd, denn man muss recht dicht vor die geschlossene Brücke kommen, damit die Kamera das erste Boot erfasst. Erst dann wird die Brücke geöffnet. Schließlich will man ja den Auto-, Bahn und Personenverkehr nicht unnötig behindern. So lange muss man das Boot auf der Stelle halten. Die kleinen Boote können Kreise ziehen, Super-Luxus-Kreuzfahrer wie der STORMVOGEL hätten Schwierigkeiten, im engen Kanal zu wenden.
Doch das Timing ist immer perfekt. Kein Wind, kein Streß.

Am dritten Tag, auf der Etappe von BORENSHULT nach FORSVIK machen wir Station in MOTALA. Zum einen muss das Boot segelklar gemacht werden, denn nun muss man den See VÄTTERN überqueren, zum anderen hat die Kanalgesellschaft hier ihr Hauptquatier. Und eben dort hin haben wir aus Deutschland Ersatzteile für unsere Frischwasser-Hochdruckpumpe bestellt. Diese Pumpe versorgt die Wasserhähne und die Dusche mit Frischasser aus den Tanks – und eben jene Pumpe will nach fünf Jahren nicht mehr so richtig. Also das Service-Kit für die Mechanik bestellt und nach MOTALA liefern lassen. Die Pumpe wohlgemerkt funktionierte noch einigermaßen gut.
Der Skipper pilgert zum Office, bekommt das kleine Paket, kommt zurück an Bord und – very spooky – die Pumpe stellt komplett den Betrieb ein. Das Paket ist noch nicht mal ausgepackt! Es ist nur an Bord gekommen! Und schwups, stellt die Pumpe komplett den Betrieb ein – nix dreht sich mehr, nix summt. Einfach tot. Tolle Wurst. Die Ersatzteile sind nun erstmal nutzlos, denn wenn der Pumpenmotor nicht dreht, kann die Mechanik auch nicht pumpen.
OK, da ist er also wieder, der Herr Klabautermann!
Kann man machen nix. Wir füllen ein paar Wasserflaschen mit Leitungswasser für Händewaschen und so, machen uns segelfertig und knüppeln sehr hart am Wind und mit ausgefahrenem Schwenkkiel die 12 Seemeilen über den See nach KARLSBORG. Da sollen wir spätestens um 18:00 Uhr sein, weil dann die Autobrücke geöffnet wird. Auf der doch recht unangenehmen Überfahrt fragt sich der Skipper, was die Boote wohl machen, wenn es 25 oder 30 Knoten Wind auf die Nase gibt?
Der in Finnland lebende Schwede hilft selbstlos und organisiert eine neue Druckwasserpumpe nach MARIESTAD, gleich in der Nähe von SJÖTORP. Mit dem Auto wird er später den Skipper durch die Gegend kutschieren und die Pumpe wird problemlos ausgetauscht. Aber nicht, das die alte Pumpe sich in Sicherheit wiegen könnte: Die wird zu Hause seziert, komplett überholt und wieder zum Leben erweckt. Da kann sie sich mal getrost darauf verlassen!

Und eben jener in Finnland lebender Schwede entpuppt sich als ehemaliger Marineflieger der schwedischen Streitkräfte, langjährigem SAS Piloten und nun im Ruhestand befindlicher Auslandsschwede. Er war in KARLSBORG stationiert und kennt die ganze Gegend wie seine Westentasche. Am Tag nach unserer Ankunft in SJÖTORP ist er Regattaleiter des örtlichen Segelvereins und lädt uns für den Abend ins Vereinsheim ein. Gemeinsames Abendessen („bring your own“), drei Gitarrenspieler und jede Menge Gesang! Was für ein toller, unvergesslicher Abend. Doch so ist das bei Reisenden: Weiter, immer weiter. Die einen zurück nach Finnland, die anderen auf den riesigen See VÄNERN. Aber das ist eine andere, kürzere Geschichte.
Demnächst hier in diesem Blog.
Peter.
P.S.: Ja, wir würden die Tour noch mal machen – aber nur in der Bestellsaison.
P.S.II: Es gibt auch Videomaterial. Aber das wird noch dauern…