Leider gibt es einen weiteren Todesfall im engsten Familienkreis zu berichten.
Nach dem vor drei Jahren die Mutter durch Demenz starb, ist heute einer meiner Brüder gestorben.
Durch Selbsttötung.
Damals, bei Mutter hatte ich geschrieben das einfach nichts über den eigenen Tod bekannt sei. Das war bei meinem Bruder nun leider anders. Er litt an einer garantiert unheilbaren tödlichen Krankheit mit einem absehbar katastrophalen Ende und hatte schon früh´ nach der Diagnose für sich beschlossen, seinem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzten.
Zu der Zeit, in dem Moment, den er, klar bei Sinnen, für richtig hält.
In erster Linie ist es das gute, absolute Recht eines jeden Menschen, über den eigenen Tod zu entscheiden.
In zweiter Linie muss man wohl aber auch differenzieren, denn das Leben an sich ist mit Abstand das größte, wertvollste und kostbarste Gut eines Menschen. Das mögen gesunde Menschen, die manchmal am Leben verzweifeln, anders sehen und völlig unsinnig den Freitod aus rein emotionalen Gründen wählen. Das kann nicht richtig sein.
Denn ist man gesund gibt es immer und in jedem Fall einen Ausweg aus scheinbar ausweglosen Situation.
Das ist bei tödlichen unheilbaren Krankheiten anders. Es gibt nichts, aber auch rein gar nichts was den Tot aufhalten oder wenigstens verschieben kann.
Viele Arten von Krebs sind mittlerweile gut behandelbar und es ist mit moderner Medizin möglich zumindest das Leben eine Zeitlang lebenswert zu verlängern, wenn nicht sogar zu heilen. Eigentlich findet die Wissenschaft über die Jahre und Jahrzehnte immer eine Lösung, doch handelt es sich um eine seltene, kaum erforschte Krankheit stehen die eigenen Chancen auch in diesen modernen Tagen erstaunlich schlecht. Und sinken, wie bei meinem Bruder, auf Null.
Daher sind diese seltenen, unheilbaren und im Verlauf mit absoluter Sicherheit tödlichen Krankheiten anders.
Der Betroffene merkt täglich das die Dinge schlechter laufen, so sehr sich nahe stehende Menschen auch bemühen die Tage so schön und angenehm wie möglich zu gestalten. Und so reift absolut nachvollziehbar bei denkenden, selbstbestimmten Menschen der Wunsch dem eigenen Leben ein Ende zu setzen und es gibt rational einfach keinerlei Gegenargumente.
Es wird nicht mehr besser werden. Es wird noch schlechter werden und mit dem Tot enden.
Da braucht man dann auch nicht doof herum zu labern.
Als Heidi und ich uns vor einer guten Woche von meinem Bruder verabschiedet haben, haben wir viel gelacht, die üblichen Späßchen gemacht und den Tot einfach bequem ausgeblendet.
Das Datum wusste wohl nur mein Bruder, wir wollten ehrlicher Weise auch gar keine Details wissen. Selbstschutz.
Als uns heute auf Reisen die Nachricht vom Tot des Bruders erreichte war ich in der Tat etwas verblüfft. Hat der Kerl das doch tatsächlich durchgezogen! Bis heute Morgen dachte ich denn auch, das man ganz schön viel Mut haben muss, in einer solchen Situation dem eigenen Leben absolut selbstbestimmt und bei megascharfen Verstand ein Ende zu setzten.
Heute, am Abend, bin ich mir da gar nicht so sicher. Vielleicht wäre es viel mutiger, um jeden einzelnen Tag zu kämpfen und, so hammerhart das Ende auch sein mag, das natürliche Ende so tapfer als möglich zu ertragen?
Doch spielt Mut in einer solchen Situation überhaupt eine Rolle?
Sollten wir nicht viel mehr einfach großen Respekt für eine solche Entscheidung haben? Es war sein Leben, seine Krankheit, seine so oder so bald endende Zukunft.
Seine Entscheidung.
Und was das für ein Leben war!
Zum Glück hat der Bruder als letztes Projekt ein schönes Fotobuch mit wenig Text und vielen Bildern über sein Leben erstellt und beim Durchblättern war man doch überrascht, bisher unbekannte Dinge, meistens lustige, zu erfahren. Wir waren zwar Brüder und mochten uns im Grunde auch sicherlich leiden, doch hätten wir unterschiedlicher kaum sein können. Beide erfolgreiche Unternehmer, doch lebenslanges, absolutes Unverständnis über unternehmerisches handeln des anderen.
Nun denn.
Das der Sohn, Bruder, Ehemann, Vater, Schwager, Geliebter und Freund fehlt werden wir alle erst in der nächsten Zeit wirklich realisieren. Zu ungewohnt, geradezu bizarr ist diese Form des Todes. Und er wird zweifelsohne dramatisch fehlen!
Doch, auf der ewigen Suche nach dem Positiven: Wir alle konnten uns, sicher jeder auf seine Art, verabschieden. Anders als bei der Mutter vor drei Jahren.
Das ist denn aber auch wirklich das einzig tröstliche an diesem beschissenen Abend.
Peter.