Es ist sehr lange her.
Ganz lange, eigentlich.
Vielleicht sogar mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen ehe sich die erneute Gelegenheit ergab, die ganz famose deutsche Rockband SYLVAN aus Hambug live zu sehen.
Nun, gestern Abend war es mal wieder so weit!

Die fünf Musiker präsentieren sich in bester (Spiel)Laune im KNUST auf ihrem traditionellen Weihnachtskonzert in ihrer Heimatstadt. Etwa zweihundert Menschen wollten das sehen und vor allem hören. So auch der Schreiberling und dessen lebenslange Begleitung, klar, mitgeschnackt.
Seit 1999 hat die Gruppe zehn Studioalben veröffentlicht, mit ONE TO ZERO 2021 bislang das letzte und mit LEAVING BACKSTAGE 2008 den einzigen Livemitschnitt. Der Schreiberling stolperte erstmals am 30. November 2005 über SYLVAN als Support von MARILLION in KÖLN. Nicht das sie den Herren von der Insel genial die Show gestohlen hätten, aber war wohl kurz davor? Jedenfalls tobte die Halle und SYLVAN durfte danach nicht mehr als MARILLION Support dabei sein.

Aus der Erinnerung später zwei, drei SYLVAN Konzerte im HAMBURGer LOGO besucht, ansonsten selbstverständlich alle Platten gekauft und über die Jahre einzelne SYLVAN Stücke immer mal wieder gehört. Denn längst nicht alles auf den verschiedenen Tonträgern aus zwei Jahrzehnten gefällt dem Schreiberling wirklich. Einiges ist allerdings tatsächlich sensationell (siehe unten) und rechtfertigt so den kostbaren Platz im Plattenschrank in der Nähe des heimischen Sofas. Dankenswerter Weise legt SYLVAN schon immer Wert auf ein gutes Artwork und Booklet für ihre Veröffentlichungen.

Der gestern im KNUST zu HAMBURG dargebotene Querschnitt aus zweiundzwanzigjähriger Schaffenszeit war denn auch entsprechend vielschichtig und es dauerte eine ganze Weile, bis der Schreiberling sich wirklich wohl fühlte. Zu viel „unbekanntes“ in der ersten Hälfte. Als ENCODED AT HEART vom aktuellen Album ONE TO ZERO erklingt freut man sich dann doch, mal wieder den Arsch vom Sofa hoch bekommen zu haben.
Die Auszüge aus dem einzigen voll durchhörbaren Album POSTHUMOUS SILENCE kommen absolut erstklassig rüber und das knapp zwanzig minutenlange ARTIFICIAL PARADISE als letzten Rausschmeißer überzeugt auch nach über zwanzig Jahren noch.

Das eine Setlist so ist wie sie nun mal ist sei den Musikern durchaus vorbehalten. Es ist schließlich unmöglich den unbekannten Wunsch eines jeden Gastes bei so einem Konzert zu erfüllen. Viel wichtiger ist es vielleicht, das die Musiker sich mit der getroffenen Auswahl wohl fühlen und wenn man SYLVAN gestern erlebt hat, dann kann man das wohl nur bestätigen. Fünf Musiker, die auch nach vielen Jahren offenbar großen Spaß daran haben zusammen zu musizieren – im krassen Kontrast zu den aktuellen MARILLION.
Den Abend eröffnet SYLVAN´s musikalisches Mastermind VOLKER SÖHL mit seinem aktuellen Seitenprojekt VIOLENT JASPER und deren ersten Veröffentlichung CONTROL. Offiziell ist auch der aktuelle SYLVAN Gitarrist JOHNNY BECK mit dabei, aber wie auch bei SYLVAN (ONE TO ZERO) hat VOLKER SÖHL die komplette Musik von CONTROL geschrieben. Und wie auch bei SYLVAN ist das eigentlich ein Problem, da zu schnell und zu oft einseitige Muster.

Entdeckung des Abends war sicherlich CAROLINE VON BRÜNKEN, die die drei dargebotenen VIOLENT JASPER Stücke gesanglich 1A vorgetragen hat. Der Opener des Abends, HAIL THEE MOCKERY war wirklich sensationell gut, die beiden Lalala Stücke danach leider nicht.
Ohne große Pause dann weiter mit SYLVAN.
Die Setlist des Abends bekommt der Schreiberling aus der Erinnerung leider nicht mehr hin. Der Sänger MARCO GLÜHMANN ist stimmlich in bester Verfassung, der Bassist SEBASTIAN HARNACK und der Schlagzeuger MATTHIAS HARDER liefern über die gesamte Konzertdistanz einen klasse 1A Job ab. VOLKER SÖHL an den Keyboards sicherlich auch, doch wird für den Geschmack des Schreiberlings für ein Livekonzert viel zu viel aus dem Computer unterstützt.

Während diese offiziellen und langjährigen SYLVAN Mitglieder alle so um und bei Mitte vierzig, Anfang Fünfzig Jahre alt sein dürften ist der aktuelle Gitarrist JOHNNY BECK gerade mal achtundzwanzig (?) Jahre alt.
Die Position der Gitarre ist bei dieser Art von Musik wohl eine ganz herausragende und ein echtes Problem bei SYLVAN.
Auf den ersten sechs Veröffentlichungen DELIVERANCE (1999), ENCOUNTERS (2000), ARTIFICAL PARADISE (2002), X-RAYED (2004), POSTHUMOUS SILENCE (2006) und PRESETS (2007) spielte KAY SÖHL, der Bruder von VOLKER SÖHL ganz exzellent, gar prägend die Gitarre.
Auf den beiden folgenden Alben FORCE OF GRAVITY (2009) und SCENERIES (2012) übernahm JAN PETERSEN als offizieller SYLVAN Gitarrist das Instrument.

2015 erscheint das Album HOME und der damals gerade mal achtzehn Jahre alte JOHNNY BECK übernimmt als „very special guest“ die Gitarre. Kaum vorstellbar, allerdings wird JAN PETERSEN auf den Album Credits gedankt. 2021, auf ONE TO ZERO ist JOHNNY BECK immer noch „very special guest“, taucht nun aber immerhin auf dem Gruppenfoto mit auf und dankt in seinen Credits als erstem JAN PETERSEN. Gut zu lesen, das dieser junge Erfolg versprechende Mann offenbar einen fachlich versierten Mentor hat.
Allerdings ist es wohl so, das die wechselnde Gitarrenbesetzung der Sache nicht förderlich sein kann. Jeder neue Gitarrist muss erst mal das Repertoire der ersten sechs Platten auf die Rolle bekommen und den prägenden Stil von KAY SÖHL so fortführen, das es immer noch nach SYLVAN klingt. Wenn man dann als Dritter einsteigt, muss man zwei Vorgänger aufarbeiten. Und wenn dann wie auf der aktuellen Platte ONE TO ZERO die gesamte Musik aus der Feder des Keyboarders stammt, wird es wohl ganz schwierig mit der Gitarre?
Prominentestes Beispiel für diese Problematik dürften wohl die RED HOT CHILI PEPPERS sein. Die haben das Dilemma gelöst in dem der ursprüngliche Gitarrist „einfach“ wieder kam.

Während des fantastischen POSTHUMOUS SILENCE Konzerts am 1. September 2007 wurde JAN PETERSEN von GUIDO BUNGENSTOCK unterstützt, wie auch auf der Studioversion.
Vielleicht ist das Gitarrenproblem denn auch der Grund, warum einige der schönsten SYLVAN Stücke gestern nicht live gespielt wurden? JOHNNY BECK ist sicherlich sehr talentiert und sichtbar eifrig dabei, zu einem vollwertigen SYLVANer zu werden, doch das muss insbesondere VOLKER SÖHL auch zulassen und Freiräume eröffnen (?).
Des Schreiberlings Wunschsetlist wäre im übrigen die folgende gewesen:
01 – One Step Beyond (PRESETS (2007))
05 – Encoded at Heart (ONE TO ZERO (2021))
10 – On my Odyssey (ONE TO ZERO (2021))
15 – Human Apologies (ARTIFICAL PARADISE (2002)) oder hier 2016 mit JOHNNY BECK live
20 – Episode 609 (FORCE OF GRAVITY (2009))
25 – Shine (HOME (2015))
30 – No Way Out (ENCOUNTERS (2000))
35 – Deep Inside (ARTIFICAL PARADISE (2002))
40 – Artificial Paradise (ARTIFICAL PARADISE (2002))
60 – Those Defiant Ways (DELIVERANCE (1999))
85 – The Colors Changed (POSTHUMOUS SILENCE (2006))
90 – Posthumous Silence (POSTHUMOUS SILENCE (2006))
All das von einem, der in Wirklichkeit keine Ahnung von Musik hat und schon gar kein Instrument spielen kann.
Was für eine unglaubliche Anmaßung!
Peter.