Der Schreiberling muss etwas aufpassen, das dieser Beitrag nicht zu einem völlig überflüssigen Meckerbeitrag verkommt, aber wenn man Spitzenklasse erwartet und gewohnt ist, dann wird ein „nur“ gutes Konzert eben schon fast zu einem schlechten.
Das ist der Mist mit dem Maßstab, der hoch gelegten Messlatte.
Der Auftritt von MARLLION, gestern, am 18.11.2023 im Haus AUENSEE in LEIPZIG war mit Sicherheit nicht schlecht, er war in Summe gut.
Fangen wir also vorne an.

Das Haus AUENSEE in LEIPZIG ist ein schönes historisches Gebäude und bietet laut WIKIPEDIA bei einem Konzert 3.500 Menschen Platz, wenn das Parkett nicht bestuhlt wird. Für die älteren MARILLION Fans hat man sich gedacht, stellen wir mal lieber Stühle auf und so passen nur noch 1.500 Menschen in den Saal, wenn man den Rang und die Galerie mit dazu nimmt.
Aus derzeit nicht nachvollziehbaren Gründen hat der Schreiberling Karten für den „Rang“, also den Balkon auf der parallelen Gegenüberseite der Bühne beschafft – vermutlich EVENTIM Bestplatzbuchung.
Nun, das war ein Griff in das Klo.
Zweite Reihe zwar, aber ein massives Hochsicherheitsgeländer direkt vor den Augen. Großen Kerlen fehlt nur der Blick auf das unter Drittel der Bühne, kleine Frauen erhaschen hier und da mal ein Bühnenbild, in dem sie geschickt durch die unteren Geländerstreben luschern. Karten für diese Plätze, aber auch für einige auf der so genannten Galerie, hätten niemals zu dem Preis und dem fehlenden Hinweis auf erhebliche Sichtbehinderung verkauft werden dürfen. Das erklärt denn auch die miesen Fotos zu diesem Beitrag.
Nun, denn.

Zwei junge Menschen betreten die Bühne, die Vorband „IAMTHEMORNING“ legt los. Wenn man eine katastrophale Performance hinlegt lässt man besser die Leerzeichen zwischen Wörtern im Bandnamen weg um sich wichtiger zu machen?
Der junge Mann bearbeitet mit so großer Geste sein kleines elektrisches Klavier als sei er ein jugendlicher Clone von Richard Clayderman. Die junge, offenbar leicht verhuschte Frau versucht sich im bedeutungsschwangeren Elfengesang und hier und da Ausdruckstanz. Zwischendurch erklärt sie, das ihre Lieder vom Tod und toten Leuten handeln würden, „Hi, Hi, Hi“ (Zitat). Und das die Musikindustrie scheiße sei weil sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht wäre. MARILLION wären sie ja so dankbar, das sie das Vorprogramm für diese Tour bestreiten dürften.
Also wenn die Herren von MARILLION nicht mindestens 10.000 Britische Pfund von IAMTHEMORNING für diese Auftrittsmöglichkeit bekommen haben, muss an deren Verstand gezweifelt werden. Katastrophal, Desaster, in jeder Hinsicht unmöglich und für den sehr zugeneigten MARILLION Fan eine echte Zumutung.
Merkwürdiger Weise brauchen die Herrn Bühnentechniker eine Ewigkeit um die Bühne herzurichten obwohl da ja alles schon steht. Und die Instrumente wollen auch noch mal eingestimmt werden?
Irgendwann geht es denn auch mal mit dem aus dem Computer stammenden Intro von THE INVISIBLE MAN los, die Herrn Musiker betreten die Bühne und es erklingt der bärenstarke Opener des Abends.
Alles passt, alles ist sehr gut.

Auch danach geht es gut weiter, doch schnell wird klar das der Sänger offenbar etwas zu viel getrunken hat? OK, das kann, das muss ein echter Rocksänger sogar, doch als er sich mit leichter Ironie über das brav vor ihm sitzende sitzende Publikum lustig macht ist es dann doch zu viel?
Es fällt fast schon dramatisch auf, wie wenig die fünf MARILLION Musiker auf der großen Bühne miteinander kommunizieren. STEVE ROTHERY sagt gar nichts, schaut auch seine Kollegen nicht an und lacht schon gar nicht. Noch nicht mal ein Lächeln. Das absolute Gegenteil von seinem Soloauftritt in KÖLN.
MARK KELLY spielt offenbar nur noch die Hälfte (?) seiner Keyboardparts live, der Rest kommt aus dem Computer. So bleibt viel Zeit um mit seinem jederzeit sichtbaren Keyboardtechniker zu schnaken.
IAN MOSLEY haut wie immer mit regungsloser Miene auf seine Trommeln, manchmal hat man den Eindruck, auch daneben und ohne jeden Schwung. STEVE HOGARTH verfällt zu oft in sein hysterisches Gekreische aus vergangenen Tagen, dabei kann er doch eigentlich so schön singen! Das ist sicherlich auch der etwas unglücklich gewählten Setlist geschuldet, die zu viele ähnliche Stücke aus nicht so guten Tagen hintereinander reiht.
Einzig PETE TREWAVAS liefert am Bass einen 1A Job ab und hilft nebenbei dem vernebelten Herrn Sänger ab und zu bei seinen wenigen Ansagen.
LUIS JARDIM als Geräuschemacher ist auch wieder mit auf der Bühne, aber einmal mehr fragt man sich, was das soll?

Das wunderbare SOUNDS THAT CANT BE MADE wird völlig verstolpert abgeliefert. Irgendwie läuft bei MARK KELLY ein falsches Sample zusätzlich ab, die Drums hauen daneben und STEVE ROTHERY verpasst nicht nur einen Einsatz.
Noch schlechter kommt nur die zweite Hälfte von NEVERLAND rüber. Das Stück war früher sicherlich mal gut, aber live hat es ob der Länge und der wenigen musikalischen Impulse der zweiten Hälfte eigentlich nichts mehr zu suchen. Ob ein STEVE HOGARTH auf Knien darüber hinweg täuschen kann?
Die erste Zugabe wird mit einem sehr langen, aber tatsächlich grandios im Computer vorbereiteten Intro zu SPLINTERING HEART vorgetragen. Dieses alte Stück (1991!) hat tatsächlich das Zeug um auch heute noch ein aktuelles MARILLION Konzert zu eröffnen.
Gespielt wurde an diesem Abend (in Klammern das Jahr der Erstveröffentlichung):
1) The Invisible Man (2004)
2) Easter (1989)
3) Sounds That Can’t Be Made (2012)
4) Beyond You (1983)
5) Map of the World (2001)
6) Reprogram the Gene (2022)
7) Lucky Man (2012)
8) Quartz (2001)
9) The Crow and the Nightingale (2022)
10) Care (2022)
Z1.1) Splintering Heart (1991)
Z1.2) Neverland (2017)
Z2) King (1995)

Bei den drei Stücken des aktuellen Albums AN HOUR BEFORE ITS DARK (2022) hatte man den Eindruck, der an sich sowieso schon gute Sound sei noch satter, fetter, besser. Ob das nur Einbildung war oder wurde da mit Computerunterstützung nachgeholfen? CARE war, natürlich, der Oberkracher und auch handwerklich sehr OK.
KING als Rausschmeißer hat dem Schreiberling noch nie gefallen, aber nach (nur) knapp zwei Stunden war dann ja auch alles wieder vorbei.
In LEIPZIG wird kein Konzert mehr besucht.
Das stocksteif da sitzende, nie mit singende Publikum war einfach fürchterlich. Klar, die haben am Ende eines Songs auch alle brav geklatscht, einige sogar gejubelt. Doch während der Stücke war das Publikum das Stilbild einer Totenmesse. Gruselig!
Wäre man bloß mal nach KÖLN gefahren.
Aber irgendwas ist ja immer.
Peter.
waren in Köln – wollten eigentlich nach Leipzig (gab aber nicht mehr 2 Karten): da haben wir viel mehr Glück gehabt! Keine derartigen ‚Ausfälle ‚ der Band.
Die Vorgruppe….hat eigentlich alle gegruselt: da hat es sogar viele Pfiffe gegeben.
Köln war ‚Stehkonzert‘: für uns nicht mehr so gut geeignet.
Sound in Köln war aber super!
Hallo Paul,
danke das Du meinen Blog gefunden hast. Glaub´ mir, ich weiß was Du meinst mit dem Stehen/Sitzen. Aber so schwierig das mit dem Stehen im zunehmenden Alter auch wird, irgendwie muss man die zwei Stunden hin bekommen. Die Musik taugt für Stühle nicht.
Hey, was zählt: Wir haben MARILLION in diesem Jahr noch mal gesehen und vor allem gehört! Mehr geht wohl nicht. vg. Peter.
Ich war auch in Leipzig. Einige Reihen hinter Dir. Während ich ein paar Deiner Meinungen teile, finde ich anderes doch etwas zu negativ dargestellt. Bei der mangelnden Interaktion der Bandmitglieder untereinander sowie mit dem Publikum muß ich Dir allerdings recht geben. Alles wirkte sehr statisch. Das aber allein dem Publikum und der Bestuhlung anzukreiden, halte ich für ungerecht. Die Band hatte vielleicht nicht ihren besten Tag, aber es war trotzdem ein solides Konzert. Ich muß dazu sagen: Ich bin kein eingefleischter Marillon-Fan. Es war mein erstes Liveerlebnis mit der Band. Einen nicht unerheblichen Teil der Setlist hörte ich dort zum ersten Mal. Und ich bereue es nicht. Wenigstens einen Titel aus der Fish-Ära hatte man aber schon bringen können…
Was die Vorband betrifft, so wurde die sicherlich bewußt ausgewählt. Auch um die musikalische Bandbreite etwas zu erweitern. Mein Eindruck war, daß sie vom Publikum in Leipzig mit wohlwollendem Interesse wahrgenommen wurde. Inklusive des recht drastischen Statements zur Politik ihres Heimatlandes.
Das Geländer konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen. Die Entfernung zur Bühne war aber schon recht groß. Was allerdings den Vorteil hatte, daß die exzellente Lichtshow in voller Pracht zur Geltung kam. Auch am Sound gab es so gut wie nichts auszusetzen. Die Location ist ja offensichtlich als Konzertsaal oder Theater gebaut worden und dürfte daher akustisch gut handhabbar gewesen sein.
Für mich war es jedenfalls ein würdiger Abschluß der diesjährigen Konzertsaison.
Hallo Rüdiger,
vielen Dank für Deinen Beitrag. Vermutlich hast Du Recht und ich bin schlicht nur zu anspruchsvoll. Oder verwöhnt: LEICESTER und KÖLN in diesem Jahr waren wirklich andere Konzerte. Wenn Dir die Musik von MARILLION gefallen hat und die mal wieder auf Tour gehen, dann versuche doch mal eine andere Stadt? Die alten Sachen werden übrigens öfters von STEVE ROTHERY (Gittarist) auf seinen Solokonzerten mit der STEVE ROTHERY BAND gespielt. Und da geht es dann wirklich richtig ab! vg. Peter.