„Wirklich Tod ist man nur wenn sich keiner mehr an einen erinnert“
In Erinnerung an meinen ehemaligen langjährigen Geschäftspartner Peter Samuelsen, der vor genau zwei Jahren, am 22. September 2023 gestorben ist.
Feste Anstellung in einer gut gehenden Unternehmensberatung. Nicht schlecht. Anstrengend zwar, aber jede Menge Kohle.
Die Weihnachtsfeiern waren natürlich hanseatisch gesittet und nie reale Orgien wie man sie etwa bei Versicherungsverkäufern vermutet. Bevor das Buffet eröffnet wurde hält einer der Geschäftsführer eine kleine Rede. Bedankt sich für den Einsatz, verkündet stolz das finanzielle Unternehmensergebnis. Denn das ist es natürlich worum es geht: Geld! Wie viel Geld wurde verdient? Welchen Bonus kann man sich ausrechnen?
Nun, vermutlich waren Peter Samuelsen und ich einige der wenigen anwesenden, die sich regelmäßig fragten: Ganz nett, ein paar Promille vom Ergebnis als Jahresbonus ab zu bekommen, aber was wäre wohl wenn man 10, 20 oder gar 30% der Unternehmensanteile hielte?
Das, und nur das wäre ein wahres Fest!
Doch während ich gefangen im Tagesgeschäft und Familienunterhalt fest steckte, arbeitete Peter Samuelsen im geheimen an einem Plan:
Die Ausgründung unserer ganzen Abteilung aus der großen Unternehmensberatung und Überführung in eine eigenständige Aktiengesellschaft. Dann so schnell wie möglich damit an die Börse um die ganz große Kasse zu machen. Wie es all die anderen Internet StartUps um uns herum nahezu täglich vormachten.
Das Ganze ursprünglich mit Kenntnis, dem Wohlwollen und der Unterstützung der Eigentümer der großen Unternehmensberatung. Selbstverständlich wären diese Herren dann auch die Hauptaktionäre der neuen Unternehmung geworden. Logisch.
Doch als Peter Samuelsen den Entscheidern fertige Verträge zur Unterschrift vorlegte, gab es immer wieder Rückfragen und Verzögerungen die am Ende dazu führten, das die Verträge nie unterschrieben wurden.
Peter Samuelsen erkannte zu diesem Zeitpunkt nicht die wahren Hintergründe für diese Verzögerungen, nahm aber zur Kenntnis, das dieser Pan nie Realität werden würde.
Zur Erklärung:
Über ein Jahr später stellte sich heraus, das die große Unternehmensberatung selbst komplett verkauft werden sollte und es war irgendwie nicht besonders sexy wenn die einzige Abteilung die ernsthaft Software für das Internet herstellen konnte, fehlte.
Wenn sich ein Mann wie Peter Samuelsen etwas in den Kopf setzte, dann will so ein Mann das auch realisieren.
Also PLAN B!
Ganz einfach:
Man tausche die Alteigentümer der großen Unternehmensberatung durch einen Risikokapitalgeber, reduziere dessen Aktienanteil und erhöhe die eigenen und starte das neue Unternehmen mutig gegen den Willen der großen Unternehmensberatung. Risiko, Gefährlich, Aufregend!
Kern der neuen Unternehmung sollte die Herstellung und der Vertrieb eines Software basierten, interaktiven, intelligenten ChatBots werden damit Unternehmen signifikant Kosten in der Kundenkommunikation durch Automation einsparen konnten. Klassisches Softwarelizenz- und Wartungsmodell. Einmal die Software hergestellt, sollten die Lizenzen im aufkommenden Internet Geschäft wie geschnitten Brot verkauft werden. So der einfache Geschäftsplan, schick auf 30 Seiten WORD und in ein paar EXCEL Tabellen glaubhaft formuliert.
Allein:
Ganz schön hohes Risiko, alles auf diese eine Karte Softwarelizenzgeschäft zu setzen.
Das wusste Peter Samuelsen, das wusste der bereits gefundene Risikokapitaleber.
Wie schön wäre es doch, wenn man neben diesem großartigen zukünftigen Geschäft doch ein vorhandenes Brot & Butter Geschäft hätte um die Investitionen und den Aufbau des neuen Geschäfts quer zu finanzieren?
Wie schön wäre es doch, ein wenig des lukrativen Projektgeschäfts der großen Unternehmensberatung mit zu nehmen? Doch dazu braucht man die Leute, die das machen, einen willigen Kunden und vor allem eine ordentliche Portion Glück, das die große Unternehmensberatung diese Truppe auch ziehen lässt.
Also führte Peter Samuelsen mit mir ein für mich lebensveränderndes, streng geheimes Gespräch.
Ein wenig beleidigt zwar, nicht früher in diesen aufregenden Unternehmensgründungsplan einbezogen worden zu sein, doch bereits nach wenigen Minuten Feuer & Flamme, nach vielleicht 10 Minuten die feste Zusage, dabei, trotzt aller Risiken, mit machen zu wollen.
Zur Erklärung:
Bereits Jahre zuvor hatte ich mit zwei Kolleginnen in der Werbeagentur in Düsseldorf einen ähnlichen, viel kleineren Plan diskutiert aber mangels finanzieller Absicherung verworfen. Statt dessen den Job gewechselt, zurück nach Hamburg in die große Unternehmensberatung und auch noch gerade hoch verschuldet ein Haus für die Familie gebaut.
Nun, es gibt nur eine wirkliche Todsünde, wenn man für eine renommierte Unternehmensberatung arbeitet:
Kündigen und Kunden mit nehmen.
Das mit den Kunden mit nehmen ist so eine Sache. Handelt es sich um einen großen Kunden und eine große Unternehmensberatung dann gibt es eine Vielzahl von Kontaktebenen und es wird schnell sehr schwierig, die Kundenbeziehung zu kapern.
Ist man aber hoch spezialisiert und finden sich weder in der Unternehmensberatung noch auf dem freien Markt zumindest ähnliche Fähigkeiten und steht der Kunde unter enormen Zeit- und Erfolgsdruck mit seinen Projekten, dann kann es gelingen.
Es gelang:
Vertrauliche Gespräche von Projektleiter zu Projektleiter, von Projektleiter zum Team, koordinierte Massenkündigung von 20 Mitarbeitern an einem Tag, tobender, drohender, schmeichelnder und schließlich umwerbender Inhaber der der großen Unternehmensberatung. Und Gott sei Dank einen Kunden, der zu seinem Wort stand.
Denkwürdig:
Nie im Leben zuvor hatte ich den großen Chef und Inhaber der großen Unternehmensberatung persönlich gesprochen. Doch mit einem Male wurde ich zu ihm zitiert. Das Vorhaben hätte keine Chance, ich solle mal an meine Familie und das neue Haus denken! Wenn ich bliebe, würde ich „Papiere“ im Werte von 2 Millionen DM bekommen, die zu einem späteren Zeitpunkt liquidiert werden könnten. Hä?
Auch Peter Samuelsen wird bearbeitet, aber nicht mehr umschmeichelt. Eher knallhart persönlich juristisch bedroht.
Der zu diesem Zeitpunkt nun zwingend notwendige weiße Ritter erscheint in Form des zu dieser Zeit wichtigsten Projektkunden. Kundenprojektleiter samt dessen Chef. Die machen dem sehr wütendem großen Chef der großen Unternehmensberatung völlig klar das er noch ganz andere Probleme bekommen würde, wenn er die abtrünnige Truppe mit einstweiligen Verfügungen und langwierigen Prozessen an der Weiterarbeit unter neuer Flagge hindern würde.
Sicher mit einigem Glück, mit unglaublich viel Planung, Lenkung und Weitblick durch Peter Samuelsen und mit dem sicheren Geld eines sehr seriösen Hamburger Risikokapitalgebers konnte die neue Aktiengesellschaft am 1. März 2000 direkt mit knapp 20 Mitarbeitern ihren Betrieb, mittlerweile ungestört, aufnehmen.
Für den Projektkunden absolut reibungslos:
Die gleichen Menschen arbeiteten an den gleichen Projekten für ihn, nur die Rechnung kam am Monatsende von einem anderen Unternehmen.
Für das Gründungsteam vielleicht die beruflich aufregendste Zeit ihres Lebens: Büro finden und einrichten, Hardware kaufen und in Betrieb nehmen, viel Pizza bestellen und in jedem physikalischen Zustand zu jeder Zeit verzehren.
Das neue Unternehmen ist klar strukturiert:
In der Geschäftseinheit PRODUCTS wird das neue Produkt gewissenhaft und nach modernsten Erkenntnissen von null auf entwickelt, Marketing und und Vertrieb dafür etabliert.
In der Geschäftseinheit SERVICES wird das in der großen Unternehmensberatung bestens erlernte Projektgeschäft für den Sprungkunden fortgeführt, neue Kunden sollen und werden dazu kommen.
Ich bin mir absolut sicher:
Nur weil Peter Samulesen direkt von Anfang an einfache, aber essentielle Unternehmensprozesse etablierte, konnte das junge Unternehmen solide wachsen:
* lückenlose Tätigkeitsnachweise durch jeden Mitarbeitenden selbst zu führen
* Kostenstellen- und Kostenträger Rechnung
* zentrales Ausgangsrechnungsbuch
* zentrales Eingangsrechnungsbuch
Nun, wir Softwareentwickler trugen sicher auch unseren Teil zum Erfolg bei. Bei der Einweihungsparty im zweiten Monat der Unternehmensgeschichte wunderte sich der Risikokapitalgeber in seiner Rede: Er habe noch nie in ein Unternehmen investiert, das nach dem ersten Monat schon Rechnungen im oberen fünfstelligen Bereich geschrieben hätte?
Ich denke, diese ersten drei Unternehmensjahre waren völlig vom Rausch von Sturm & Drang dominiert. Vom Erfolg. Vom Gefühl, beruflich niemals scheitern zu können.
Eigentlich hätte man jeden dieser Tage genießen, gar feiern müssen!
Doch während das Menschen in anderen Unternehmen in der gleichen Branche wohl auch taten, wurde in der jungen Aktiengesellschaft schlicht mit Leidenschaft und Hingabe gearbeitet.
Das zahlte sich aus:
Mit dem Platzen der Internetblase 2003 verschwanden reihenweise lästige Mitbewerber vom Markt, unser Unternehmen bekam zwar kurz mal einen heftigen Schluckauf, doch mit der Ruhe und Besonnenheit eines Peter Samuelsens blieben wir im ruhigen Fahrwasser.
Während andere Unternehmen massiv Personal abbauten oder gar ganz die Pforten schlossen, führten wir für eine Zeitlang Kurzarbeit ein: Laut zuständigem Arbeitsamt Premiere für ein Softwareunternehmen in Hamburg. Keiner musste gehen.
Aus der Schwebezeit zwischen altem und neuen Unternehmen ist mir unvergesslich eine völlig banale Szene aus Januar oder Februar 2020 in Erinnerung geblieben:
Wir Softwareentwickler hatten zwar ordnungsgemäß gekündigt, „mussten“ aber bis zum letzten Arbeitstag für die große Unternehmensberatung arbeiten. Das war auch gut so, denn schließlich wollte ja der wichtige Sprungkunde weiter bedient werden.
Peter Samuelsen wurde hingegen bei seiner Kündigung sofort frei gestellt und durfte das Bürogebäude der großen Unternehmensberatung nicht mehr betreten. Selbstverständlich durften wir Softwareentwickler auch nicht mehr während der Arbeitszeit mit Peter Samuelsen reden.
Aber was wir in der Mittagspause machten, das war natürlich Privatsache.
Seit ich Peter Samuelsen kannte fuhr er immer einen schicken, aber nie überkandidelten Firmenwagen. Der wurde ihm natürlich am Tage seiner Kündigung sofort weg genommen. Und so trafen wir uns im typischen Hamburger Nieselregen zu Dritt in einem gemieteten japanischen Kleinstwagen auf dem Wendehammer vor dem gemieteten Bürogebäude der großen Unternehmensberatung und besprachen die zukünftige Hardwareausstattung der neuen Unternehmung.
Auf keine Fall mehr als DREI (3!) Server, keinen Serverraum, kein klimatisiertes Rechenzentrum.
Auf keine Fall!
Nun, am Tag 1 gab es dann auch wie geplant nur drei einsame Server, ein paar Monate später 10, später 20, 30, Klimaanlagen und all den ganzen Scheiß, den eigentlich kein Softwareentwickler betreiben will.
Aber versucht haben wir es, ich schwöre!
Wie so oft in diesen Jahren: Wir haben gemeinsam leidenschaftlich aber besonnen immer um die richtige Lösung gerungen.
Und die sehr oft auch gefunden und umgesetzt.
Das funktioniert richtig gut, wenn alle die gleichen Interessen haben und an einem Strang ziehen.
Peter Samuelsen, selbst erfahrener Informatiker, verstand es zu jeder Zeit diese vielen Diskussionen, manchmal auch Dispute, so zu moderieren das für das junge Unternehmen die Beste Lösung gefunden wurde. Sicher auch oft für ihn selbst überraschende.
Einer seiner vielen klugen Sätze:
Damit ein Ruder bei einem Schiff eine steuernde Wirkung entfalten kann, muss das Schiff fahren, das Ruder muss vom Wasser angeströmt werden. Kommt das Schiff zum Stillstand, kann man Ruder legen wie man will, es passiert rein gar nichts.
Das von einem leidenschaftlichen Tennisspieler, der sich erst viel später aufs Wasser wagte.
Also denn, einmal mehr erhebe ich mein Glas in Andenken an Peter Samuelsen.
Diesmal gefüllt mit edlem Sherry, an Bord eines (für uns) neuen 40 Jahre alten Dampfers am Tag 1 des Überführungstörn von TRAVEMÜNDE nach ELMSHORN.
Nur so lässt sich der Tod von nahestanden Menschen ertragen:
Mit Vollgas weiter leben!
Cheers!
Peter.
P.S: In dieser lose fortgeführten Reihe kann man hier die Beiträge „Peter Samuelsen gestorben“ und „Erster Todestag Peter Samuelsen“ nachlesen.